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Großes Gewächs: Qualitätsspitze deutscher Weine

Keine andere Bezeichnung steht so sehr für hochwertigen Wein aus Deutschland wie ein Großes Gewächs. Wir dröseln für Sie auf, warum es so besonders ist – und wer diese Betitelung überhaupt verwenden darf.

Es ist der Begriff, der über allen steht. Großes Gewächs. Er ist die Krönung der deutschen Qualitätspyramide in Sachen Wein. Ihm ist es zu verdanken, dass trocken ausgebaute Weine seit gut zehn Jahren wieder im Trend liegen. Und er ist ein Garant dafür, dass Weine, die das berühmte GG auf der Flasche tragen, nicht nur erstaunlich komplex und genau ihr Terroir wiedergeben, sondern auch besonders gut zu lagern und äußerst langlebig sind. Aber woher stammt die Bezeichnung eigentlich, wie wird sie definiert - und darf eigentlich jedes Weingut in Deutschland ein Großes Gewächs anbieten? All diesen Fragen widmen wir uns jetzt!

Um es gleich vorwegzunehmen. Noch ist der Begriff Großes Gewächs nicht im Weingesetz verankert. Das richtet sich nämlich bis jetzt nicht nach der Herkunft, sondern nach der Prädikatsstufe. Während in Frankreich und Italien die Herkunft dank der Appellationen (wie Sancerre) beziehungsweise DOCGs (Denominazione di Origine Controllata e Garantita - wie etwa Chianti Classico) ganz klar definiert und geschützt ist, richtet sich das deutsche Weingesetz bei der Qualität nach den Mostwerten. Sprich: je mehr Süße, desto höherwertiger der Wein. Der Herkunftsgedanke spielt dabei keine Rolle.

Weißweintrauben am Rebstock mit Blick auf die Moselschleife
Großes Gewächs: Herkunft zählt.

Großes Gewächs - wie alles begann

Erst der VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter) änderte das im Jahr 2002. Damals klassifizierten die einzelnen VDP-Regionalverbände ihre Lagen und führten ein Qualifikationssystem ein. Dieses erfand man nicht neu, sondern stützte sich dabei auf die Preußische Lagenklassifikation von 1868 und 1897. Der Grundgedanke dahinter ist ebenso simpel wie effektiv: je enger die Herkunft gefasst ist, desto höherwertiger der Wein. Man führte beim VDP zunächst eine dreistufige Qualitätspyramide ein, an deren Spitze das Große Gewächs stand.

Ein Glas mit Weißwein auf einem Tisch mit weißer Tischdecke und einem Schattenspiel

Einzig der Rheingau scherte bei der Definition aus. Denn dort hieß es Erstes Gewächs statt Großes Gewächs. Dieser Umstand wurde erst 2013 geändert. Ein Jahr zuvor fand aber eine noch viel wichtigere Neuerung statt. Denn 2012 erweiterte der VDP sein System auf vier Stufen. Neben Guts- und Ortswein an der Basis führte man die Erste Lage ein. Noch immer war das Große Gewächs an der Spitze, das jetzt aber aus der neu definierten Großen Lage kommen musste.

Großes Gewächs - Große Lage? Ist das nicht ein und dasselbe? Jein! Diese schwammige Antwort hat etwas mit den VDP-Regularien selbst zu tun. Damit sich ein Wein Großes Gewächs nennen darf, muss er unter anderem trocken sein. Mit den Prädikatsstufen des deutschen Weingesetzes, an deren Spitze die betörend zuckersüße Trockenbeerenauslese steht, kam man da nicht weit. Nun wollten aber einige Mitglieder aus ihren Lagen für Große Gewächse nicht nur trockene Weine produzieren, sondern eben auch süßere Weine. Genau deswegen änderte man die Begrifflichkeit in Großen Lagen. So können seitdem aus den Großen Lagen nicht nur Große Gewächse kommen, sondern eben auch Prädikatsweine. Klingt kompliziert? Ist es auch ein wenig. Die deutsche Bürokratie macht eben auch vor dem Weinbau nicht Halt.

Großes Gewächs: Wer darf was und wo?

Wenn wir schon bei bürokratischen Vorgaben sind, können wir damit eigentlich auch gleich noch ein wenig weitermachen. Denn in Sachen Großes Gewächs müssen die VDP-Mitglieder noch auf weitere Details achten. So hat zum Beispiel jeder Regionalverband für sich selbst definiert, aus welchen Rebsorten Große Gewächse entstehen dürfen. Hier mal ein kompakter Überblick:

  • Ahr: Früh- und Spätburgunder
  • Baden: Riesling, Weiß-, Spät- und Grauburgunder, Chardonnay sowie Lemberger (nur an der Badischen Bergstraße und im Kraichgau)
  • Franken: Riesling, Silvaner, Spät- und Weißburgunder
  • Hessische Bergstraße: Riesling, Weiß-, Grau- und Spätburgunder
  • Mittelrhein: Riesling und Spätburgunder
  • Mosel-Saar-Ruwer: Riesling
  • Nahe: Riesling
  • Pfalz: Riesling, Weiß- und Spätburgunder
  • Rheingau: Riesling und Spätburgunder
  • Rheinhessen: Riesling und Spätburgunder
  • Saale-Unstrut: Riesling, Weiß-, Spät-, Früh- und Grauburgunder, Traminer sowie Silvaner
  • Sachsen: Riesling, Weiß-, Grau-, Spät- und Frühburgunder sowie Traminer
  • Württemberg: Riesling, Weiß-, Grau- und Spätburgunder, Lemberger

Dass die Rebsorten divergieren, hängt übrigens mit dem Herkunftsgedanken zusammen. Nicht jede Traube reift überall voll aus - oder kann ihre volle Strahlkraft entfalten.

VDP-Flaschen mit Großen Gewächsen
Große Gewächse entstehen in allen 13 deutschen Weinanbaugebieten. © Peter Bender / VDP

Noch mehr VDP-Vorgaben

Es gibt aber auch ein paar sehr wichtige gemeinsame Vorgaben, um ein Großes Gewächs bereiten zu dürfen. So ist zum Beispiel eine selektive Handlese der physiologisch vollreifen Trauben Pflicht. Außerdem ist der Ertrag auf maximal 50 Hektoliter pro Hektar begrenzt. Bei der Vinifikation sind ausschließlich traditionelle Produktionsverfahren erlaubt. Dazu gehören etwa ein schonendes Pressen oder aber das Vergären mit weinbergseigenen Hefen. Ein Großes Gewächs darf zudem nur in die dafür vorgesehenen Flaschenformen abgefüllt werden. Für Riesling ist etwa die Schlegelflasche gedacht, für alle Burgunder-Sorten die Burgunderflasche. Silvaner hingegen darf wahlweise in der Schlegelflasche oder im Bocksbeutel daherkommen. Auf allen Flaschen ist die Abkürzung GG gemeinsam mit den VDP-Trauben eingeprägt.

Rotwein wird aus einer Weinflasche in ein Weinglas eingegossen

Damit aber noch nicht genug Vorgaben! Auch, wann ein Großes Gewächs auf den Markt kommen darf, ist klar definiert. Bei allen Weißweinen ist das der 1. September im Folgejahr nach der Ernte. Die Rotweine dürfen sogar erst im zweiten Jahr nach der Lese ab dem 1. September in den Verkauf kommen. Das sind schon sehr eng gefasste Regeln, die der VDP seinen Mitgliedern diktiert. Aber die Strenge lohnt sich. Denn schließlich wird so noch viel mehr auf eine außergewöhnlich hohe Qualität geachtet. Was dann den einzigartig guten Ruf des Großen Gewächses begründet hat. Fun Fact am Rande: Offiziell heißt es beim VDP übrigens Grosses Gewächs. Auf das "ß" verzichtete man bewusst, um die Weine international besser vermarkten zu können. Der Umlaut im Wort Gewächs blieb aber. Nun ja.

Großes Gewächs: Rebzeile mit einem Pfosten, auf dem der Traubenadler vom VDP klebt
Traubenadler - das VDP-Symbol.

Große Gewächse vom Bernkasteler Ring

Bei all den Regularien, die mit einem Großen Gewächs des VDP einhergehen, müssen wir noch einmal betonen, dass das eigene Regeln sind, die nichts mit dem deutschen Weingesetz zu tun haben. Dürfen deswegen nur VDP-Mitglieder Große Gewächse erzeugen? Nein! Denn der Verband hat sich seine Begrifflichkeiten nicht schützen lassen. Zu deren Ehrenrettung muss man allerdings sagen, dass ein Markenschutz wahrscheinlich auch nicht möglich gewesen wäre, da man sonst mit dem Weingesetz Probleme bekommen hätte.

Und eben weil der Begriff nicht geschützt ist, verwendet ihn seit dem Jahr 2005 auch ein anderer Verband. Nämlich der Bernkasteler Ring mit seinen 35 Mitgliedsweingütern von Mosel, Saar und Ruwer. Hier soll mit dem Titel Großes Gewächs vor allem Riesling aus Steillagen gezielt vermarktet werden. Die Vorgaben sind ähnlich zu denen des VDP: selektive Handlese und Ertragsreduktion sind Pflicht. Auch hier dürfen die Weine erst ab dem 1. September des Folgejahres auf den Markt kommen. Zwingend vorgeschrieben ist die Schlegelflasche.

Großes Gewächs: Mann schneidet Weintraube mit einer Rebschere vom Rebstock
Handlese ist bei einem Großen Gewächs Pflicht.

Deutsches Weingesetz: Großes Gewächs für alle?

Dass der Begriff Großes Gewächs nicht geschützt ist, macht sich jetzt übrigens auch das Landwirtschaftsministerium zunutze. Denn die Europäische Union forderte von der Bundesrepublik eine Aktualisierung des Weingesetzes. Neben vielen logischen und unlogischen Änderungen entschloss man sich dazu, fortan die Herkunft deutscher Weine genauer zu definieren und zwar - Sie ahnen es - mit der Einführung der Bezeichnung Großes Gewächs für die Spitzenweine. Obwohl das Gesetz bereits im März 2021 in Kraft getreten ist, steht das Große Gewächs für alle noch in den Startlöchern. Denn jetzt müssen erst einmal alle Regionalverbände definieren, aus welchen Lagen die Großen Gewächse stammen und welche Rebsorten dafür verwendet werden dürfen.

Was sich wie ein sehr hehres Ziel anhört, ist momentan tatsächlich ein Grabenkrieg vom Feinsten, da sämtliche Verbände natürlich ihre eigenen Interessen durchdrücken möchten. Als ausführendes Organ geht es deswegen beim DWV (Deutscher Weinbauverband) hoch her. Zunächst kündigte der Dachverband der Winzergenossenschaften seinen DWV-Austritt zum Ende des Jahres an, weil man die eigenen Interessen nicht mehr richtig vertreten sieht. Diesem Paukenschlag folgte der nächste: denn DWV-Vizepräsident Henning Seibert legte sein Amt nieder. Und nur eine Woche später trat auch noch der FMV (Fränkischer Weinbauverband) aus dem DWV aus.

Statt Einigkeit zu schaffen, kocht jetzt jeder sein eigenes Interessensüppchen. Bis alle Formalitäten geklärt sind, um ein Großes Gewächs für alle deutschen Weingüter zu ermöglichen, kann es also noch ein wenig dauern. Wir werden Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten. Bis es Ergebnisse gibt, empfehlen wir Ihnen, eines der vielen bereits vorhandenen Großen Gewächse vom VDP oder dem Bernkasteler Ring zu genießen. Gerne auch schon gereift. Für maximalen Genuss im Glas.

Copyright Titelbild: © Peter Bender /VDP

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