Beim Appassimento-Verfahren ist der Name Programm. "appasire" bedeutet im Italienischen soviel wie "verwelken" bzw. "welk werden lassen". Nur Trauben, die zu 100 Prozent unversehrt und gesund sind (die also auch keine Edelfäule aufweisen), sind für diese Methode geeignet. Die Trauben werden früh gelesen, um die Weinsäure zu erhalten. Nach der Ernte kommen sie direkt auf spezielle Gestelle, Strohmatten oder in Holzkisten und werden auf Dachböden, in Lagerräumen oder direkt unter freiem Himmel getrocknet. Je mehr Wasser die Beeren verlieren, desto konzentrierter werden Zuckergehalt und Aromen. Und genau das zeichnet einen Appassimento-Wein aus.
Für einen Amarone della Valpolicella - dem Parade-Wein schlechthin, wenn es um Appassimento geht - kann dieser Vorgang bis zu vier Monate dauern. Denn schließlich müssen die Beeren 50 Prozent ihres Gewichts verlieren. Wichtig ist, dass die Trauben während dieses Prozesses gut durchlüften, damit sie nicht schimmeln. Entweder kann man sie dafür in aufwendiger Handarbeit drehen und umschichten - oder aber Ventilatoren und Hochleistungs-Lüfter übernehmen diesen Job. Danach findet eine ganz normale Vinifikation statt. Hier ist meistens der Reifungsprozess in Holzfässern zusätzlich prägend. Das Ergebnis sind dann sehr vollmundige und kraftvolle Weine, die saftige Aromen von reifen Kirschen und Pflaumen sowie eine feine Würze (die kommt dann vom Holz) haben.
Appassimento: Ein uraltes Wein-Verfahren
Appassimento hat seinen Ursprung in Venetien und gehört zu den ältesten und geschichtsträchtigsten Wein-Verfahren der Welt. Bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus wurde es von dem in Karthago lebenden punischen Schriftsteller Mago erstmals erwähnt. Anfang des 1. Jahrhunderts berichtete dann der römische Gelehrte Plinius der Ältere von einem "vinum reticam", den er in Verona probiert hatte - und bei dem es sich um einen Appassimento-Wein handelte.
Vom antiken Venetien aus traten die angetrockneten Trauben übrigens oft auch ihre Reise in andere Länder an. Zum Beispiel nach Kreta. Die Winzer dort wollten damals auch gerne solche kräftigen Weine machen. Aufgrund des feuchten Wetters schimmelten ihnen aber die Beeren weg. Also importierten sie kurzerhand die rosinierten Trauben aus Italien.
Zu dieser Zeit waren Appassimento-Weine noch sehr süß, da sie nicht komplett fermentierten. Laut italienischem Volksmund änderte sich das erst in den 1930er-Jahren. Damals "vergaß" ein Kellermeister nämlich aus Versehen ein Appassimento-Fass und füllte es nicht ab. Als er es später wiederentdeckte, war der Wein durchgegoren und hatte keine Restsüße mehr. Voilà - der erste Appassimento, wie wir ihn heute kennen, ward geboren.
Rebsorten und Regionen für Appassimento-Weine
Im bekanntesten Appassimento - dem Amarone della Valpolicella, einem waschechten DOCG-Wein aus Venetien - steckt vor allem eine Rebsorte: Corvina. Zu ihr gesellen sich typischerweise Corvione und Rondinella. Vor ein paar Jahrzehnten fand man auch noch einen gewissen Anteil Molinara darin. Aber dieser kommt inzwischen nur noch selten vor. Ersatz findet sich mit Sangiovese, Croatina, Cabernet Franc, Negrara oder Oseleta.
Obwohl der Amarone aus Valpolicella das Appassimento-Sinnbild schlechthin ist, gibt es Verfahren auch in anderen italienischen Weinbauregionen. In Umbrien gibt es etwa den Montefalco Sagrantino Passito. Oder wie wäre es mit einem Gläschen Passito di Pantelleria aus dem Trentino? Auch hier ist das Appassimento-Verfahren im Einsatz.
Ripasso
Anders hingegen sieht es bei Weinen aus, die die Beinamen "Ripasso" tragen. Ein Ripasso ist sozusagen der kleine Bruder des Amarone, denn seine Trauben werden zusammen mit Amarone-Trester fermentiert - also mit dem, was bei der Amarone-Herstellung übrig geblieben ist.
Werden aber alle Trauben für einen Wein nach der Lese unversehrt direkt auf Matten oder Kisten getrocknet, dann kann man von Appassimento sprechen. Und zwar nicht nur in Italien. Denn das Verfahren ist - im Gegensatz zu bestimmten Wein-Namen wie eben den Amarone della Valpolicella - nicht herkunftsgeschützt. In Frankreich etwa gibt es den Vin de Paille oder den Passerillé, während Appassimento-Weine in der Schweiz unter dem Namen Flêtri firmieren. Und in Südtirol und Österreich heißen sie dann Stroh- oder Schilfwein, weil die Trauben auf lockerem Stroh oder eben Schilf rosinieren. In Deutschland war Appassimento übrigens bis 2009 verboten. Erst dann änderte sich das Weingesetz.