Wenn man Gamay in eine bekannte Märchenfigur verwandeln könnte, wäre die rote Rebsorte ohne Zweifel die Inkarnation von Aschenputtel. Von der eigenen Familie ausgenutzt, verstoßen und immer ein wenig anders als ihre Schwestern. Bis dann eine gute Fee dafür sorgt, dass sie ihrer großen Liebe begegnet. Gamay verliert zwischendurch sogar ihren gläsernen Schuh und verwandelt sich auch pünktlich um Mitternacht zurück in ein Aschenputtel. Und selbstverständlich gibt es auch bei ihr einige weitere Komplikationen bis das Happy End endlich in Sicht ist. Klingt kitschig? Ist es irgendwie auch. Trotzdem ist die Analogie passend. Denn Gamay ist eine zutiefst missverstandene Rebsorte. Oder zumindest war sie es. Fangen wir mal am Anfang der märchenhaften Geschichte an.
Es war einmal im Burgund Ende des 14. Jahrhunderts. Gamay gedeihte hier prächtig. Und drohte, einem ihrer Elternteile den Rang abzulaufen. Der Pinot Noir. Denn Gamay war etwas härter im Nehmen, nicht ganz so zimperlich und brachte auch noch mehr und vor allem zuverlässig Ertrag. Um Pinot Noir vor einem Abstieg zu bewahren, erließ Philipp der Kühne, Herzog von Burgund, am 31. Juli 1395 ein Dekret. In dem stand, dass der Genuss von Gamay nicht zuträglich sei und dass deswegen bitteschön alle Reben herausgerissen werden sollten.
Willkommen im Beaujolais, liebe Gamay
Das kam fast schon einer Vertreibung aus dem Paradies gleich. Denn schließlich erblickte Gamay als natürliche Kreuzung von Pinot Noir und Gouais Blanc (auch als Heunisch bekannt) im 3. Jahrhundert hier das Licht der Welt. Und zwar in dem Örtchen Gamay bei Saint-Aubin in der Côte d'Or im Burgund. Ein paar Hektar Gamay-Rebfläche verweisen heute noch dort auf ihre Wurzeln. Zum Glück fand sie im knapp 150 Kilometer entfernten Beaujolais, das damals noch nicht zum Burgund gehörte, schnell ein neues Zuhause. Doch auch die alte Heimat vermisste sie. Immer wieder wurde sie auch im Burgund gepflanzt. Und ebenso immer wieder verboten sie die Herzoge dort. Dekrete aus den Jahren 1567, 1725 und 1731 zeugen davon.
Während man sich am Geburtsort schließlich final von ihr abwandte, wurde Gamay im Beaujolais mit offenen Armen empfangen. Denn hier hatte man auf eine Traube wie Gamay gewartet. Eine, die einfach im Anbau ist. Und die es eilig hat. Gamay treibt früh aus und reift früh. Ideal also fürs kühle Beaujolais, wo andere rote Rebsorten nicht verlässlich ausreifen. Gut, späte Fröste im Frühjahr können zum Problem werden, aber die gibt es hier so gut wie nie. Es sollte nur zur Ernte hin nicht zu nass sein, denn dann ist sie anfällig für allerlei Pilzkrankheiten. Das ist dann aber schon das einzige Manko. Wenn man mal davon absieht, dass Gamay nicht ganz so ist wie andere rote Trauben. Manch ein Weinexperte nennt sie so zum Beispiel einen Weißwein im roten Gewand.
Warum Gamay schmeckt, wie sie schmeckt
Ihre Schalen sind nämlich nicht nur sehr dünn, sondern ihr Fruchtfleisch ist auch noch besonders hell. Deswegen lautet ihr offizieller Name auch Gamay Noir à Jus Blanc. Also "schwarze Gamay mit weißem Saft". Dieser Bezeichnungszusatz ist durchaus wichtig. Schließlich neigt Gamay zu Mutationen. Diese haben in der Regel dunkles Fruchtfleisch und gehören zu den sogenannten Färbertrauben, die aber auch alle das Wort Gamay im Titel tragen. Bei den Färbertrauben ist der Name Programm: aufgrund der dunklen Saftfarbe wurde ihr Most gerne mit dem der Original-Gamay gemischt, um den Wein dunkler zu machen. Das Problem: es ging auf Kosten des Geschmacks.
Denn Gamay ist, reinsortig ausgebaut, eine wunderbar duftig-fruchtige Rebsorte! Himbeere, Kirsche und Brombeere finden sich hier ebenso wie florale Noten von Veilchen und Flieder. Und weil die Beerenschale dünn ist, schimmert ihr Wein in einem hellen Rot im Glas und hat kaum Tannin. Dafür aber eine recht hohe Weinsäure, die ideal zum schlanken Körper passt. Die Winzer im Beaujolais verliebten sich schnell in sie. Und fungierten zugleich als gute Fee in unserer märchenhaften Geschichte. Denn sie fanden heraus, wie man Gamay zusätzlich zum Strahlen bringen konnte.
Nämlich mit der Kohlensäuremaischung. Bei dieser speziellen Bereitungsart, die man auch Macération carbonique nennt, vergären die ganzen Trauben bei kompletten Sauerstoffausschluss. Der Fermentationsprozess beginnt dadurch direkt in den Beeren. Ist in ihnen ein Alkoholgehalt von zwei Volumenprozent erreicht, platzen sie auf. Dadurch werden noch mehr Aromen extrahiert, bevor der Most dann ganz normal zu Ende gärt. Gängig sind da vor allem Banane und Zimt. Geht die Gärung bei niedrigen Temperaturen vonstatten, können dann auch noch Anklänge von Eisbonbon oder Kaugummi dazukommen.
Ideale Böden für das Aschenputtel
Kurzum: die Weinbauern im Beaujolais schenkten der verstoßenen Gamay nicht nur ein neues Zuhause, sondern bereiteten auch noch fruchtig-frische Weine aus ihr, die schnell sehr beliebt waren. Bereits im 17. Jahrhundert liebte man die Kreszenzen auch in Paris. Im 18. Jahrhundert wurde sie sogar mal wieder hier und dort im Burgund willkommen geheißen, bevor man sie auch in anderen französischen Regionen haben wollte. Bis heute findet sich ein beträchtlicher Bestand an der oberen Loire in der Appellation Touraine.
Nur im Bordeaux, auf Korsika und im Elsass ward sie bis heute nicht gesehen. Ansonsten tanzte das Aschenputtel aber auf jedem französischen Weinfest mit. Ihr königliches Schloss befand sich hingegen nach wie vor im Beaujolais. Und zwar in den zehn von Granit geprägten Crus im Norden des Beaujolais. Dieser Boden ist das ideale Tanzparkett für die Gamay, entwickelt sie hier doch Tiefgang und Komplexität. Im Süden, wo der Lehm dominiert, ist sie indes ein wenig bodenständiger und schlichter, dreht aber als Beaujolais Villages immer noch zauberhaft-fruchtige Pirouetten.
Genau hier entstand aber noch ein ganz bestimmter Gamay-Stil, der fast den großen Traum von Anerkennung vom Aschenputtel hätte platzen lassen. Der Beaujolais Nouveau. Also ein Wein, der besonders früh trinkfertig ist. Ursprünglich bereiteten die Beaujolais-Winzer diesen fruchtig-leichten Jungspund in den 1920er-Jahren als einfachen Tafelwein für ihre Erntehelfer. Doch wie es der Zufall so wollte, fanden die französischen Weinliebhaber generell schnell Freude an diesem unkomplizierten Wein und verlangten mehr davon.
Aschenputtel auf Steroiden und als Federgewicht
In unserer Märchengeschichte ist das rauschende Fest zu diesem Zeitpunkt in vollem Gange. Niemand denkt mehr bei Gamay an ein Aschenputtel. Doch dann schlägt es mit den beiden Jahrgängen 1945 und 1947 Mitternacht. Und unsere Prinzessin verwandelt sich mit einem Schlag wieder in Aschenputtel. Denn damals war es im Beaujolais außergewöhnlich heiß. Die Trauben reicherten dementsprechend sehr viel Zucker an, was bei der Gärung wiederum einen sehr hohen Alkoholwert zur Folge hatte. 15 Volumenprozent waren durchaus normal. Das Problem: die Menschen liebten diesen aufgepumpten Gamay - und wollten ihn auch in den kühleren Jahrgängen so haben. Die Folge: einige Winzer zuckerten ihren Most auf, um solche Schwergewichte bewusst zu produzieren. Nun ist Gamay aber schlank und fein und wird durch solch eine zuckerhaltige Steroid-Behandlung etwas plump und träge. Um beim Märchen zu bleiben: stellen Sie sich die zarte Cinderella mit Bodybuilder-Muskeln vor!
An dieser Stelle kommt jetzt jemand in unser Märchen, der nicht zu den Originalfiguren passt. Eigentlich wollte der Winzer Georges Dubœuf Anfang der 1950er-Jahre den Gamay-Ruf retten. Er hätte mit seinem perfekten Marketing auch der edle Prinz in schimmernder Rüstung sein können. Fest steht, dass er der Gamay ihren gläsernen Schuh zurückgeben wollte, den sie aufgrund der Alkohol-Muskeln auf dem rauschenden Fest um Mitternacht verloren hatte. Doch der Schuh, den Dubœuf überall auf der Welt herumzeigte und feiern ließ, hieß Beaujolais Nouveau! Dieser fand auf einmal wieder reißenden Absatz, war er doch das krasse Gegenteil von der Bodybuilder-Version. Cinderella drehte überall leichtfüßig ihre Pirouetten. Das war ganz charmant und zauberhaft. Doch leider nahm man sie nicht ernst! Gamay mutierte so zu einem kultigen Spaßwein, den man nebenher trank. Also doch irgendwie wieder ein Aschenputtel. Nur eben im Hochglanzformat.
Gamay: Vom Aschenputtel zur Prinzessin
Der gläserne Schuh namens Beaujolais Nouveau passte unserer Gamay-Cinderella also nur bedingt. Durch ihn war sie mehr Disco-Queen denn Prima Ballerina. Zudem begann der Stern von Georges Dubœuf in den 1990er-Jahren zu sinken. Der Weinmarkt hatte genug von dem harmlosen Spaß-Gamay. Womit wir jetzt endlich beim tatsächlichen Prinzen unseres Märchen wären, der unser Aschenputtel zur Prinzessin macht. Und dieser ist identisch mit der guten Fee! Denn es waren die Beaujolais-Winzer selbst, die den Ruf von Gamay wieder zum Strahlen brachten.
Nämlich indem sie ernsthafte Weine aus den zehn Crus bereiteten. Statt im Edelstahltank bauten sie die Rebsorte in Holzfässern aus, gaben ihr mehr Zeit, damit ihre Weine Tiefgang und einen eigenständigen Charakter entwickeln konnte. Ohne dabei aber ihre charmante Leichtigkeit zu verlieren. Und siehe da: plötzlich rümpften renommierte Weinkritiker nicht mehr die Nase, sondern interessierten sich für die Prinzessin namens Gamay. Nehmen Sie zum Beispiel nur mal den Moulin-à-Vent La Rochelle 2019 von Domaine Anita! Dieser Gamay erhielt 97 Punkte von James Suckling. Noch vor zehn Jahren hätte das niemand für möglich gehalten!
Gamay weltweit
Sie sehen: das Märchen vom Gamay-Aschenputtel ist eng mit dem Beaujolais verwoben. Verwunderlich ist das nicht. Denn über die Hälfte der weltweit 32.000 Hektar sind hier zu finden. In keiner anderen Weinregion rund um den Globus haben sich die Winzer einer einzigen Rebsorte derart verschrieben. Da ist die Cinderella-Analogie also mehr als passend. Während man im Märchen allerdings nicht erfährt, wie die Geschichte nach dem Happy End weitergeht, sieht das in der Realität schon anders aus. Denn tatsächlich ist Gamay flügge geworden. In Frankreich ist sie als siebthäufigst angepflanzte Traube durchaus ein Star. Von den 32.000 Hektar weltweit finden sich gut 30.000 Hektar alleine hier!
Als einziges anderes Land hat nur noch die Schweiz einen nennenswerten Gamay-Bestand, wo sie nach Pinot Noir die zweithäufigste Rebsorte ist, mit der man sie dort übrigens gerne verschneidet. Sie gedeiht hier vor allem rund um Genf und im Kanton Wallis. Auch in Bulgarien, Ungarn, Kanada, im Napa Valley und in Oregon wächst Gamay. Allerdings nur in verschwindend geringen Mengen. In ganz Südafrika macht der Rebenbestand zum Beispiel gerade mal 19 Hektar aus - und die gehören fast alle dem Weingut Kleine Zalze.
Warum sich ein genauer Blick ins Glas lohnt
Wirklich wahr ist das Märchen der Gamay also tatsächlich nur in Frankreich geworden. Und dort im Speziellen im Beaujolais. Hier lohnt es sich sehr, mal einen Beaujolais Villages neben einem Beaujolais Nouveau zu probieren. Und auch eine Verkostung der unterschiedlichen Beaujolais-Crus lohnt sich enorm. Denn hier zeigt unsere leichtfüßige Cinderella auch ihre unterschiedlichen tiefgründigen Seiten. So ein Cru-Gamay ist dann sogar für eine Lagerung im heimischen Weinkeller geeignet, da er durch ein paar Jahre Flaschenreife zauberhafte Noten von Unterholz bekommt.
Und dann gibt es an Gamay auch noch eine ganz andere Seite zu entdecken. Die Rebsorte macht nämlich auch als Weinbegleitung zu den unterschiedlichsten Gerichten eine hervorragende Figur. Die Bandbreite ist hier tatsächlich erstaunlich. Ob leicht gekühlt zum Grillen oder zum Sommersalat, als Wein-Kompagnon zu Fisch wie Lachs oder Thunfisch oder sogar zu Lammracks - Gamay kann mehr, als man auf den ersten Blick vermuten mag.
13 Antworten auf „Gamay: Rebsorte mit Charme“
[…] für einen Pinot Noir. Haben Sie allerdings einen leichten Vernatsch aus Südtirol oder aber einen Gamay aus dem Beaujolais im Glas, dann dürfen es auch gerne 14 Grad Celsius sein, um den […]
[…] interessant ist übrigens eine Kombination mit einem etwas kräftigeren Beaujolais. Die Rebsorte Gamay, die hier federführend ist, ist ebenso fruchtig wie frisch. Und damit ebenso ideal geeignet. Wer […]
[…] Kalkstein. Der nährstoffarme Granit im Norden ist ideal für die Hauptrebsorte des Beaujolais: die Gamay-Traube. Dieser Boden sorgt dafür, dass die schnell wachsende Rebe weniger, aber dafür aromatischere […]
[…] Pfalz) entkorken. Möchten Sie lieber einen leichteren Rotwein im Glas, schenken Sie sich einen Gamay aus dem Beaujolais ein! Der ist so zart, dass man ihn auch schon mal den Weißwein unter den Roten […]
[…] wärmer. Klingt wenig, macht aber für die Reben einen Unterschied. Früh reifende rote Sorten wie Gamay und selbst die später reifende Cabernet Franc erhalten so auch im Herbst genügend Wärme. Und […]
[…] Hinsicht nicht mit Cabernet Sauvignon aufnehmen kann, ist sie bei Weitem nicht so hell wie etwa die rote Gamay aus dem […]
[…] zu einem Roten mit weniger Gerbstoffen greifen. Einem Pinot Noir aus dem Burgund zum Beispiel. Ein Gamay aus dem Beaujolais hat zwar auch wenig Tannine, kommt aber mit recht blumigen Noten daher, die […]
[…] Tannine haben, um den feinen Geschmack des Fleisches nicht zu überdecken. Hier bietet sich etwa Gamay aus dem französischen Beaujolais oder ein Vernatsch aus dem italienischen Südtirol an. Oder ein […]
[…] Rotweinfleck ist. Kleckert man mit einem nicht ganz so farbintensiven Wein wie etwa Pinot Noir oder Gamay, ist die Rettungsaktion meist einfacher und von einem größeren Erfolg gekrönt, als wenn man zum […]
[…] Elegant und eher leicht sollten wir hier allerdings bleiben, daher empfehlen wir Ihnen einen Gamay aus dem Beaujolais oder einen Spätburgunder aus […]
[…] auf Frankreich: in die Erde gelangten die Bordeaux-Varianten Cabernet Sauvignon und Merlot, Gamay aus dem französischen Beaujolais, Syrah von der Rhône und Pinot Noir aus dem Burgund. Allerdings […]
[…] einer feinen Weinsäure brilliert, kann da das gewisse Extra an Geschmackserlebnis liefern. Und ein Gamay aus dem Beaujolais bringt herrlich florale Noten mit ins Spiel, die bei besonders würzigen […]
[…] als vinophilen Orientierungspunkt zu nehmen. Tunken Sie in Tomatensaucen, kommen Sangiovese und Gamay wieder ins Spiel. Bevorzugen Sie cremige Dips, dann öffnen Sie einen […]