Châteauneuf-du-Pape war früh dran. Zweimal, genau genommen. Zum ersten Mal, als die Päpste im 14. Jahrhundert von Rom ins südfranzösische Avignon umsiedelten und Clemens VI. seine Sommerresidenz im Grünen, im nahegelegenen Châteauneuf-du-Pape errichten ließ. Was auf Deutsch soviel heißt wie "neues Schloss des Papstes". Für kurze Zeit war der gleichnamige Rotwein Châteauneuf-du-Pape einer, den der Kirchenadel trank. Und einer der ersten Weine, der auch fern seiner Heimat bekannt war. Knapp ein Jahrhundert waren die Päpste hier und als sie Südfrankreich wieder in Richtung Rom verließen, wurde auch der Châteauneuf-du-Pape wieder einer von vielen Rotweinen des Rhône-Deltas.
Aber Châteauneuf-du-Pape war ein zweites Mal früh dran. 1923 war das, als sich eine Gruppe führender Winzer der Gegend zusammenschloss, um in einem klaren Regelwerk zu definieren, was so ein Châteauneuf-du-Pape eigentlich ist. Was Winzer im Weinberg und im Keller machen müssen, um den Namen der Region auf das Etikett schreiben zu dürfen. Federführend war damals Baron Pierre Le Roy de Boiseaumarié, der einige Jahre später das "Institut National des Appellations d'origine" (INAO) gründete, das auch heute noch für die Regelwerke sämtlicher Appellationen in Frankreich - von Bordeaux bis zur Champagne - verantwortlich ist. Châteauneuf-du-Pape war damit so etwas wie die Blaupause für die moderne französische "Appellation d‘origine côntrolée" (AOC).
13 Rebsorten und 3.200 Hektar
Doch zur Gegenwart: Das Gros der Regeln von 1923 ist auch heute noch gültig. Châteauneuf-du-Pape darf nur aus der gleichnamigen Gemeinde und den umliegenden Weinbergen kommen. 3.200 Hektar sind das, die im Westen vom Flussbett der Rhône und im Osten von den Nachbar-Appellationen Gigondas, Vacqueyras und Beaumes-de-Venise eingegrenzt werden.
Außerdem sind ganze 13 Rebsorten zugelassen: die roten Sorten Grenache, Syrah, Mourvèdre, Cinsault, Vaccarèse, Counoise, Muscardin und Terret Noir sowie die weißen Bourboulenc, Clairette, Roussanne, Picpoul und Picardan. Zwischen Rotwein und Weißwein wird auf dem Papier nicht unterschieden, was den Winzern die Möglichkeit eröffnet, die kräftigen südfranzösischen Rotweinsorten mit weißen Sorten aufzulockern. Weißer Châteauneuf-du-Pape wird meist aus Roussanne und Clairette gekeltert, ist mit sieben Prozent der Produktionsmenge aber deutlich seltener. Rosé ist ebenfalls zugelassen, die Flaschenanzahl aber verschwindend gering - ein Wein für Sammler und Spezialisten.
Da 1923 noch niemand daran dachte, dass einmal roboterartige Vollernter durch die Weinberge fahren sollten, mussten die Winzer in Châteauneuf-du-Pape nachziehen und die Handlese im Nachhinein ins Regelwerk aufgenommen werden. Eine der wenigen Änderungen seit Bestehen der AOC. Und auch der Mindestalkoholgehalt von 12,5 Volumenprozent Alkohol ist heute noch gültig. Wenn auch diese untere Grenze wenig zu sagen hat. Die meisten Weine haben hier in der südfranzösischen Hitze mittlerweile ohnehin 14 oder 15 Volumenprozent.
Die Kunst der Châteauneuf-du-Pape-Cuvée
Châteauneuf-du-Pape steht für kraftvolle Weine. Vor allem, wenn man von den Roten spricht, und da 93 Prozent der Produktion auf Rotwein entfallen, spricht man meistens von den Roten. Die Hauptrebsorte ist (wie fast überall an der südlichen Rhône) Grenache, die in den meisten Cuvées einen Anteil von 60 bis 90 Prozent einnimmt. Gefolgt von Syrah, Mourvèdre und Cinsault. Der Anteil der weiteren Sorten beschränkt sich in den meisten Fällen auf ein paar wenige Prozent. Nun ist Grenache ein kräftige Rebsorte, die viel Fülle, eine immense Tiefe und eine konzentrierte Beerenfrucht mitbringt. Die übrigen Rebsorten sind vor allem da, um Grenache zu zügeln, wenn er zu fett wird. Counoise zum Beispiel ist eine Rebsorte, die zwar nicht viel Tiefe mitbringt, die als Teil einer Cuvée aber das Quäntchen Frische beisteuert, die Grenache häufig fehlt.
Manche Rebsorten müssen Grenache auch anspornen, wenn die Rebsorte zu müde, dröge und stumpf schmeckt, was besonders in warmen Jahren schnell passieren kann. Syrah oder Mourvèdre sind da willkommene Flankengeber, immer etwas raffinierter und kantiger als Grenache. Syrah ist für pfeffrige Aromen und Cassisnoten zuständig. Mourvèdre erinnert häufig an Tabak, Lorbeer und vollreife Brombeere, ist dabei aber bissiger und weniger mollig als Grenache.
Beherrschen Kellermeister die Kunst der Cuvée, ist ein Châteauneuf-du-Pape einer der vielschichtigsten Weine, die man im Glas haben kann: Dicht, kraftvoll, viel reife Beerenfrucht und dennoch voller Finesse, kräutriger Frische und erdiger Aromen, die an Zigarren und Trüffel aus dem Périgord erinnern. Ein Wein, der zehn oder 20 Jahre im Keller ohne Probleme übersteht und danach immer noch Freude bereiten kann.
Nicht zu unterschätzen sind auch die Weißweine, die vor allem Verfechtern von Kraft und Cremigkeit Freude bereiten dürften. Hauptrebsorte ist hier Roussanne, eine Rebsorte, die viel reife Fruchtaromatik in den Wein transportiert. Weißer Châteauneuf-du-Pape erinnert an Holunderblüten, kandierte Ananas, weißen Pfirsich und zeigt außerdem dichte erdige Aromen. Kein Wein für schwache Gemüter. Wer ausschließlich spitzen Chablis und restsüßen Riesling trinkt, wird in Châteauneuf-du-Pape nicht seinen neuen Liebling finden. Doch für alle anderen sind die unterschätzen Weißweine einen Ausflug wert.
Neues Holz oder alte Fässer
In der Regel werden die verschiedenen Rebsorten separat vergoren und erst nach der Gärung verschnitten. Traditionalisten geben ihre Weine nach der Maischegärung in große alte Holzfässer mit mehreren Tausend Litern Fassungsvermögen, die keinen Geschmack mehr abgeben. Aber in den vergangenen Jahrzehnten haben auch Barriques in Erstbelegung ihren Weg nach Châteauneuf-du-Pape gefunden. Ob der rauchige, vanillige Barrique-Stil zu Grenache passt, ist unter Winzern umstritten. Ein paar verwenden sie und keltern so Weine, die zwar viel Würze haben, aber meistens recht austauschbar schmecken und auch gut und gerne aus La Mancha, Kalifornien oder Südaustralien kommen könnten.
Glaubt man dem Weinkritiker der New York Times, Eric Asimov, der sich seit den 1980ern mit Châteauneuf-du-Pape beschäftigt, gab es drei Holzphasen in der Region. Vor 1990 haben Winzern nur die traditionellen Fässer verwendet. Die ersten Barriques seien Anfang der 1990er aufgetaucht und hätten bis Mitte der Nullerjahre einen Boom erlebt. Seit etwa zehn Jahren befänden sich die großen Fässer nun wieder auf dem Vormarsch. Heute sind die typischen Gebinde die alten Holzbottiche. Doch immer noch werden der Cuvée häufig Weine aus dem Barrique beigemischt, um dem Wein zarte, rauchige Nuancen zu geben, ohne ihn mit dem vollen Barriquearoma zu erschlagen.
Das Terroir der "galets roulés"
Dass ein Châteauneuf-du-Pape schmeckt, wie er schmeckt, liegt nicht zuletzt am Terroir der Region. Charakteristisch für die Weinberge sind die sogenannten "galets roulés". Dabei handelt es sich um tennisball- bis schallplattengroße Quarzit-Steine, aus denen die oberste Bodenschicht der meisten Rebanlagen in Châteauneuf-du-Pape besteht. Diese glatt-geschmirgelten, hellbeigen Steine sehen nicht nur eindrucksvoll aus, sie beeinflussen auch den Stil der Weine. Tagsüber heizen sich die Galets auf und speichern die Hitze der Sonne. Nachts geben sie die Wärme wieder ab, weswegen es im Weinberg im Sommer nie richtig kühl wird. Das beschleunigt die Reife und macht die Weine konzentrierter, molliger und fruchtbetonter.
Außerdem verhindern die Galets die Erosion, sprich: die Abtragung durch Wind und Wetter. Besonders der vom Mittelmeer kommende Mistral-Wind fegt heftig durch die Weinberge in Châteauneuf-du-Pape. Die schweren Steine dienen als eine natürlich gewachsene Schutzschicht und sorgen dafür, dass die darunter liegende Bodenschichten aus Lehm und Sand nicht verstreut werden. Und die sind genauso wichtig wie die Galets! Denn gräbt man ein wenig im Boden, fällt auf, dass die Steine schon nach 20 bis 30 Zentimetern aufhören. Die Reben wurzeln also in Lehm und nicht auf den Galets, was die Weine weicher und sandiger werden lässt, ihnen aber in warmen Jahren auch eine gewisse dumpfe Schwere gibt.
Châteauneuf-du-Pape in der Zeit des Klimawandels
Ein Problem drängt sich nach mehreren heißen Sommern auf und dürfte sich in den kommenden Jahren zuspitzen: hohe Alkoholgehalte. Die Hauptrebsorte Grenache reagiert sensibel auf Wärme und bildet schnell viel Zucker. Wofür die Winzer in der kühleren Vergangenheit noch dankbar waren, was ihnen aber in Zeiten der Klimaerwärmung mehr und mehr Sorgen bereitet: die Weine werden zu schwer.
Die typischen Galets sind da nicht unbedingt von Vorteil. In den nach Süden ausgerichteten Lagen sind die Nachttemperaturen durch die warmen Steine häufig zu hoch. Deswegen sind die besten Lagen mittlerweile die, die nach Osten, Westen oder Norden zeigen. In den 1970er- und 1980er-Jahren fand man noch zahlreiche Châteauneuf-du-Pape mit 13 oder 13,5 Volumenprozent Alkohol. Heute sind solche Rotweine an der südlichen Rhône nahezu ausgestorben. 14,5, 15 oder sogar 16 Volumenprozent Alkohol sind in Châteauneuf-du-Pape die neue Realität.
Das zu vermarkten, dürfte immer schwieriger werden. In England - mit einem Sechstel der Gesamtproduktion wichtigster Export-Markt für Châteauneuf-du-Pape - bemisst sich die Weinsteuer bereits am Alkoholgehalt. Auch im Mutterland Frankreich ist ein Trend zu feiner ziselierten Weinen nicht abzustreiten. Anders ist Boom der Weine aus dem Jura, die häufig nur elf bis zwölf Prozent Alkohol haben und die man derzeit in jeder hipperen Weinbar trinken kann, kaum zu erklären. Und selbst in den Vereinigten Staaten, deren Weintrinker lange von Robert Parkers Lobpreisungen fetter Marmeladenweine beeinflusst waren, setzen trendige Winzer vermehrt auf zartere Weine.
Reif für die Zukunft
Châteauneuf-du-Pape wäre keine große Rotweinregion, wenn sie keine Winzer hätte, die sich dem annehmen. Eine Bewältigungsstrategie gegen die Hitze ist die Suche nach kühlen Lagen. Die Domaine de la Janasse, einer der aufstrebenden Spitzenbetriebe der Region, setzt weiterhin voll auf Grenache, verwendet für seine Top-Cuvées aber lediglich Trauben aus den kühlen, nach Norden ausgerichteten Lagen. Auch das alteingesessene Château Rayas gehört zur Spitzengruppe der Winzer in Châteauneuf-du-Pape. Ausgerechnet in der gleichnamigen Spitzenlage Rayas finden sich kaum Galets als Hitzespeicher. Deswegen sind die Nächte kühler, die Trauben reifen langsamer und die Weine sind feingliedriger und eleganter.
Andere Winzer gehen andere Wege. Kenner der Region berichten neuerdings, wie sich das Rebsorten-Portfolio in der Cuvée verschiebt, weil mehr und mehr Winzer den Grenache-Anteil in ihren Weinen verringern. Im Châteauneuf-du-Pape des Spitzenbetriebs Château Beaucastel nimmt Grenache derzeit gerade mal 30 Prozent ein. Genauso viel wie Mourvèdre und nur etwas mehr als Syrah. Stéphane Usseglio, ebenfalls einer der Topwinzer in Châteauneuf-du-Pape, experimentiert schon seit einiger Zeit mit zuckerärmeren Counoise-Trauben, einer dieser Rebsorten, die gewöhnlich nur in kleinsten Mengen in die Cuvée wandern.
Châteauneuf-du-Pape: Die kraftvolle Benchmark
Wohin sich Châteauneuf-du-Pape bewegen wird, ist schwer zu sagen. Die Winzer, die die Zeichen der Zeit erkennen, machen Hoffnung, dass die Region es schafft, den Charme ihrer Weine auch zu bewahren, wenn es immer heißer wird. Und der Charme liegt auf der Hand: Die enorme Fülligkeit der Grenache-Traube, die Molligkeit durch die wärmenden Steine, das feine Spiel zwischen Erdigkeit und Frische, das entsteht, wenn Kellermeister mit Fingerspitzengefühl die Cuvée kreieren.
Was kraftvolle Weine angeht, ist Châteauneuf-du-Pape nach wie vor eine Benchmark, nicht nur in Frankreich, sondern weinweltweit. Dass sich derzeit einiges verändert, ist kein Manko, sondern ein Grund, gerade jetzt genauer hinzusehen. Am besten legt man sich jedes Jahr ein paar Flaschen in den Keller, die man in 15 Jahren in einer Vertikalverkostung öffnet. Dann kann man der Region beim Verändern zuschauen. Und dabei umwerfend gute Weine trinken.