Schon wieder reiste der Winzer René Barbier nicht allein ins verlassene Priorat. Ende der 1980er-Jahre cruiste er mit seinem Winzerfreund Álvaro Palacios im Hippie-Bus in die spanische Weinregion südlich von Barcelona. Knapp fünfzig Kilometer vor der Mittelmeerküste glich das Gebiet einer Mondlandschaft: Zerklüftete Berge, karge Steilhänge und dunkler Boden, der in der Sonne glitzert. Als René Barbier und Álvaro Palacios die kurvenreichen Hügel im Priorat hinauftuckerten, fuhren sie an alten Buschreben vorbei, um die sich niemand mehr kümmerte. Auf den thymiangesäumten Wegen tummelten sich mehr Maultiere als Kinder.
Genau hier wollte René Barbier die spanische Weinwelt revolutionieren. Und das Niemandsland in eine Weinregion verwandeln, deren Namen Genießer mit Weltklasse-Gewächsen in Verbindung bringt. Er war davon überzeugt, dass das Priorat der richtige Ort sei, um etwas Großes zu beginnen. Eine kleine Gruppe von drei vinophilen Abenteurern hatte er bereits angesteckt und er war sich sicher, dass auch Álvaro Palacios bleiben würde. René Barbiers Idee ging auf. Aus dem Priorat kommt heute einer der rarsten und teuersten spanischen Weine. Weniger als 3.000 Flaschen gibt es jährlich vom 'L'Ermita', der ab 800 Euro zu haben ist. Und genau das hat mit den den jungen Visionären, den alten Reben und den dunklen Böden zu tun.
Llicorella-Schiefer
Vor der Kulisse des schroff aufsteigenden Montsant-Gebirges im Norden ragen die Hänge des Priorats auf bis zu 700 Meter Höhe empor. Sie erinnern an das portugiesische Douro und die Mosel: so steil, dass sie terrassiert wurden, um mehr Platz für Reben zu schaffen. Wie dort ist der Boden auf dem spanischen Hochplateau um das Dorf Gratallops von Schiefer geprägt. Er hat sogar einen eigenen Namen, der Weinkenner aufhorchen lässt: Llicorella. Ein feinblättriger, dunkler Quarzitschiefer vulkanischen Ursprungs, der farblich zwischen Rotbraun, Grau und fast Schwarz changiert. An manchen Stellen erscheint er rotbraun-schwarz gebändert - wie ein gigantisches Tigerfell, das die kargen Hügel bedeckt. Was ist jetzt aber das Besondere daran?
Weil der Llicorella sehr porös ist, können die Reben ihre Wurzeln leicht in die Tiefe bohren, um an Wasser zu gelangen. Das ist aufgrund des mediterranen Klimas auch immens wichtig, klettern die Temperaturen im Sommer doch gern mal auf 40 Grad Celsius. Bei durchschnittlich 500 Millimeter Regen im Jahr, was selbst für spanische Verhältnisse als trocken gilt. Auch der Fluss Siurana führt nur wenig Wasser durchs Priorat. Und Schieferboden ist nicht dafür bekannt, Feuchtigkeit zu speichern. Für die Reben ist es also überlebenswichtig, mit langen Wurzeln an Grundwasser zu kommen!
Gleißende Hitze im Priorat
René Barbier wusste, dass das positive Nebeneffekte hatte. Für die Art von intensiven Rotweinen, die er machen wollte. Ihm war klar, dass der Ertrag auf den kargen Böden gering ausfällt, wodurch die Beeren eine besonders intensive Aromatik ausbilden. Außerdem gelangen die Reben so an einen besonderen Mineralienmix, der die Weine typisch nach Priorat schmecken lässt. Denn so gesellen sich zu den Aromen von roten Waldbeeren, Thymian und Rosmarin auch spannende Noten von Graphit, Asche und Mineralik.
Jetzt könnte man denken, dass die mediterrane Sommerhitze für Trauben mit viel Fruchtzucker und wenig Weinsäure sorgt. Tatsächlich bilden die Beeren auch einiges an Fruchtzucker aus, sodass ein Alkoholgehalt von meist über 14 Volumenprozent keine Seltenheit ist. Dass die Trauben trotz Hitze dennoch ihre fruchtige Frische behalten, liegt an den kühlen Nächten. Denn nachts sinkt das Thermometer an den hochgelegenen Steilhängen auf bis zu 15 Grad Celsius ab! Das alles waren in den Augen von René Barbier außergewöhnliche Bedingungen für komplexe, kraftvoll-elegante Weine.
Visionäre in der Provinz
Überzeugend wie die Gegend war René Barbiers Enthusiasmus. So gab es schließlich Ende der 1980er-Jahre im Priorat neben der Klosterruine und älteren Einwohnern eine kleine Gruppe von fünf Weinenthusiasten. Zu diesen gehörten neben René Barbier auch Daphne Glorian, ausgebildete Anwältin und Weinhändlerin, José Luis Peréz, frisch gekürter Professor für Önologie und Carles Pastrana, Journalist aus dem nahegelegenen Tarragona. Auch Álvaro Palacios, Sohn einer großen Winzerfamilie in der spanischen Rioja, blieb. Sie wollten einfach alles anders machen. Das hieß keine Weine im Stil einer traditionellen Rioja Gran Reserva. Schließlich galt selbst dieser spanische Klassiker weltweit nur noch als zweitklassig. Man wollte aber internationale Spitzenweine! Natürlich in Kleinstmengen, in höchster Qualität und zu Spitzenpreisen.
Die junge Generation störte sich an jahrelang im amerikanischen Holzfass gereiften Rotweinen, die im schlechtesten Fall vanillig-oxidativ schmeckten. Außerdem wollten sie nicht hinnehmen, dass Weine umso besser wurden, je länger sie im Fass lagerten. Stattdessen hatten die jungen Winzer das französische Burgund als Vorbild. Und da sorgt nicht die Reifedauer für Qualität. Sondern die genaue Lage, aus der die Trauben stammen. Je kleiner die Lage, desto besser! Sprich Weltklasse-Weine aus Einzellagen, in denen man die Unterschiede des Terroirs schmecken kann. Gewächse, die vor allem im Weinberg entstehen und nicht im Keller. Auch das war radikal anders als in der Rioja! Denn dort war es üblich, Trauben verschiedener Lagen zu verschneiden.
Renaissance im Priorat
Das alles war elektrisierend, die rustikalen Weine der ansässigen Genossenschaft keine Konkurrenz und das Land günstig. Zudem blickte das Priorat auf eine lange Weingeschichte zurück, so dass man die Gegend als für den Weinbau erprobt hielt. Denn bereits im Mittelalter machten Mönche des Kartäuserklosters Priorat de la Cartoixa d'Escaladei hier dichte, fast schwarze Weine. Bis ins 19. Jahrhundert wurden im Priorat Rotweine erzeugt, hauptsächlich aus den Rebsorten Garnacha und Cariñena, denen das mediterrane Klima bestens behagte. Doch dann kam es zu einer gewaltigen Zäsur im Weinbau. Zuerst vernichtete die Reblaus Ende des 19. Jahrhundert den größten Teil der 5.000 Hektar Rebflächen. Danach ließen die Kriege im 20. Jahrhundert die Gegend verarmen. Wer konnte, zog weg aus der Provinz und suchte im nahegelegenen Barcelona nach Arbeit.
Als dann in den 1980er-Jahren die junge Generation um René Barbier ankam, wurden nur noch 600 Hektar Rebflächen bewirtschaftet. Der Weinbau lag nahezu brach. Die Gruppe um René Barbier brachte frischen Wind in die Rebstöcke und Weinkeller. Man machte Wein aus den lokalen roten Sorten Garnacha und Cariñena und importierte gleichermaßen französische. Cabernet Sauvignon, Merlot, Syrah und Pinot Noir streckten bald ihre Wurzeln in den Schieferboden, hatten allerdings anfangs Schwierigkeit mit der Hitze. Bald erkannte man, dank des Önologen José Luis Peréz, dass sich vor allem Garnacha und Cariñena über die Jahrhunderte ideal angepasst hatten. Und genau diesen wendete man sich verstärkt zu.
Buschreben und Einzellagen
Besonders die bis zu einhundert Jahre alten Buschreben hatten es den fünf Winzern angetan. Denn diese bilden auf dem nährstoffarmen Llicorella-Boden nur extrem wenig Beeren aus. Die Menge, die man ernten kann, beträgt zum Teil geringe 5 bis 10 Hektoliter pro Hektar. Zum Vergleich: Für den hochpreisigen italienischen Barolo ist deutlich mehr erlaubt: maximal 56 Hektoliter pro Hektar darf der Ertrag dort sein! Weil die Trauben so außergewöhnlich aromatisch geraten, nahmen die Fünf die mühevolle Handlese im kargen Priorat auf sich.
Jeder der Fünf machte Weine aus Einzellagen. Weswegen man in allen fünf Weingütern das Wort "Clos" findet - französisch für eine umgrenzte Lage. Wie René Barbiers Weingut Clos Mogador sind sie alle untrennbar mit dem Neuanfang im Priorat verbunden: Clos Martinet (José Luis Peréz), Clos de l'Obac (Carles Pastrana), Clos Erasmus (Daphne Glorian) sowie Clos Dofí (Álvaro Palacios). Zusätzlich nutzte man moderne Methoden: Die Trauben wurden bei kontrollierter Temperatur vergoren und länger mazeriert als vorher üblich. Oft wurden die Garnacha- und Cariñena-Grundweine mit internationalen Sorten verschnitten und in französischen Eichenfässern ausgebaut. Rotwein-Revolution im Priorat! Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.
Kometenhafter Erfolg
Vor allem die Weine von René Barbier, Daphne Glorian und Álvaro Palacios erzielten international sehr bald hohe Bewertungen. Bereits im Jahr 1992 besprach der renommierte französische Restaurantführer Gault & Millau die Rotweine aus dem Priorat. Der 'Clos Mogador' von René Barbier erhielt darin 18 von 20 Punkten. Mit diesem Artikel richteten sich die ersten Augen von Weinkennern auf die kleine Region im Hinterland der katalanischen Mittelmeerküste. Von da an ging es Schlag auf Schlag.
Im Jahr 1994 etwa erreichte der 'Clos Erasmus' von Daphne Glorian sagenhafte 99 Punkte vom us-amerikanischen Weinkritiker Robert Parker. Ein konzentrierter Blend aus alten Garnacha-Reben und jüngeren Cabernet-Sauvignon- und Syrah-Pflanzungen, der Parker ein regelrechtes Feuerwerk an Vergleichen abfackeln ließ. Für ihn glich das dichte Gewächs einem Mix aus Weinikonen aus dem Bordeaux, Châteauneuf-du-Pape und dem kalifornischen Napa Valley! Der Ritterschlag kam zehn Jahr später, denn da knackte die 2004er-Edition des 'Clos Erasmus' als erster Wein im Priorat die Schallmauer von 100 Parker-Punkten. Um diese Sensation im darauffolgenden Jahr scheinbar mühelos zu wiederholen. Das Priorat war eindeutig im Wein-Olymp angekommen.
Kometenhafte Preise
Der Verkaufspreis für Daphne Glorians ersten 100-Punkte-Wein war sportlich. Reichlich 100 Euro kostete eine Flasche, als sie auf den Markt kam. Das mag auf den ersten Blick nicht ganz zur Hippie-Stimmung des Aufbruchs passen. Aber die mühselige Handarbeit in den Steillagen und absolut geringe Erträge rechtfertigten einen hohen Preis. Noch sportlicher sah das bei Álvaro Palacios aus. Der verlangte bereits für einen seiner ersten Jahrgänge mehr als Daphne Glorian für ihren 100-Punkte-Wein. So mussten Weintrinker für den 1994er 'L'Ermita' etwa 140 Euro bezahlen. Das war großzügig kalkuliert für einen neuen Wein eines jungen Winzers. Warum eigentlich?
Nun, zum einen war natürlich auch der 'l'Ermita' handwerklich extrem gut gemacht. Über ihn schwärmte Robert Parker, dass er alles habe, um eine moderne Legende zu werden: aufregend komplexe Aromen und Eleganz trotz Intensität. Zum anderen war aber auch Kalkül dabei. Álvaro Palacios' Weinvertrieb empfahl ihm, mit einem hohen Preis zu starten, um so schneller Aufmerksamkeit zu erhalten. Das Kalkül ging auf. Die hohe Qualität, die geringe Menge und die Bewertung mit 97 Punkten führten blitzartig zu einem Hype, der bis heute anhält. Als die 2013er-Edition dann auch die legendäre Höchstnote von 100 Punkten und den seufzenden Vermerk "unerreichbar und echte Weltklasse" erhielt, explodierten die Preise. Die jüngere Version von 2013 schlug mit 1.600 Euro teuflisch zu Buche. Und war damit einer von Spaniens teuersten Weinen!
Grand Cru in Spanien
Terroir statt langer Reifedauer- das war die Formel, die funktionierte. Und zog - auch wegen der Preise, die man erzielen konnte - weitere Winzer in die Gegend, darunter die spanische Koryphäe Miguel A. Torres. Gab es Anfang der 1990er-Jahre überschaubare 15 Kellereien im Priorat, sind es heute über 100 Weingüter und über 500 Traubenanbauer, die Rebflächen mittlerweile auf etwas mehr als 2.000 Hektar angewachsen. Bei so viel Know-how wundert es nicht, dass die DO (Denominación de Origen) dann im Jahr 2001 zur DOCa (Denominación de Origen Calificada) hochgestuft wurde. Damit steht das Priorat mit der Rioja an der spanischen Qualitätsspitze. Denn insgesamt gibt es in Spanien nur zwei DOCas!
Bei so viel Erfolg hätte man sich auch auf den Lorbeeren ausruhen können. Nicht so Álvaro Palacios und seine Winzerkollegen. Unermüdlich vertraten sie weiterhin die Idee, dass im Priorat Einzellagen klassifiziert werden sollen. Denn anders als in Frankreich gab es in Spanien keine Lagenklassifikation. Zwar wurde 2003 die Kategorie "Vino de Pago" als neue Qualitätsspitze eingeführt. Die gilt aber für größere Bereiche eines Weinguts und nicht für kleinere Einzellagen.
Für Álvaro Palacios viel zu weit weg von eng umgrenzten Parzellen wie im Burgund. Den Winzern im Priorat ist es zu verdanken, dass es seit 2019 für Katalonien nun eine Einzellagen-Klassifikation gibt! Die Spitze dieser fünfstufigen Qualitätspyramide darin ist die "Gran Viña Clasificada" - übersetzt Großes Klassifiziertes Gewächs, was einem französischen Grand Cru entspricht. Die erste Parzelle, die so klassifiziert wurde, waren die 1,75 Hektar, auf denen Álvaro Palacios Trauben für den 'l'Ermita' wachsen.
Priorat-Power
Aber nicht nur aus den Böden von Álvaro Palacios und den anderen Mitgliedern der ersten Fünfergruppe gehen großartige Priorat-Gewächse hervor - auch die zahlreichen anderen Bodegas arbeiten an charaktervollen Terroir-Weinen, die so nur in der katalanischen Mondlandschaft mit ihren glitzernden Schieferböden entstehen können.
Es lohnt sich also, das Priorat über seine kraftvoll-eleganten Roten zu entdecken, die trotz aller Intensität und ihres Alkoholgehalts äußerst elegant sind! Vergleichen Sie doch mal einen reinsortigen Garnacha oder Cariñena mit einer Cuvée aus Garnacha und internationalen Sorten. Wir versprechen Ihnen intensiven Weingenuss!
3 Antworten auf „Priorat: Spektakuläre Region mit Weinikonen“
[…] als DOCa (Denominación de Origen Calificada) erhielt. Es gibt nur noch eine zweite DOCa, das Priorat im Osten der Iberischen Halbinsel. Erweitern wir also unseren Blick auf das ganze […]
[…] Winzern zu Beginn der 1990er-Jahre daran, aus Garnacha das Beste herauszuholen. Im nordspanischen Priorat entdeckten sie, dass die Sorte ihr Terroir auf jeden Fall zu zeigen weiß, wenn man ihren Ertrag […]
[…] alte Garnacha-Reben wieder. Und Weine wie diese sind heute mit den berühmten Garnacha aus dem Priorat auf […]