Hätte der australische Farmer John Harold Hohnen in den 1970er-Jahren mehr Rinder verkauft, gäbe es das Weingut Cape Mentelle heute nicht. Was äußerst schade wäre. Schließlich ist Cape Mentelles Cabernet Sauvignon eine der Wein-Ikonen in Down Under. Aber was hat das jetzt alles mit Rindern zu tun? Der Reihe nach. Begeben wir uns ins Jahr 1970, in den Westzipfel Australiens. 230 Kilometer südlich von Perth kaufte John Harold Hohnen Land und Rinder. Jedoch, es rentierte sich nicht. Was tun?
Nachdenklich betrachtete der erfolglose Landwirt die Reben, die er auf einer kleinen Fläche als Experiment gepflanzt hatte. Da beschloss er, in den Weinbau einzusteigen. Ein gewagtes Unterfangen, schließlich gab es in der Gegend von Margaret River noch niemanden, der das professionell machte! Ganz im Gegenteil, denn die meisten australischen Winzer hatten sich um Adelaide angesiedelt, etwa 2.600 Kilometer weiter östlich. 30 Stunden Autofahrt entfernt. Er hätte sich keinen abgelegeneren Ort aussuchen können. Allerdings hatte John Harold ein Ass im Ärmel. Seinen Sohn David. Denn der hatte in Kalifornien Önologie studiert und arbeitete in Ostaustralien als Winzer. Ihn überzeugte er davon, in Margaret River ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Terroir in Margaret River
Vater und Sohn waren aber beileibe keine Lotteriespieler. Sie wussten, dass es in dem paradiesischen Surfer-Städtchen schon länger rumorte. Forscher hatten die Gegend untersucht und herausgefunden, dass sie sich tatsächlich für Weinbau eignen könnte. Ein absolutes Novum, denn bisher lebte man hier vom Sägewerk, der Molkerei und den Surf-Touristen, die auf dem Indischen Ozean die nächste große Welle suchten. Das Meer sorgt aber auch für rebenfreundliche Bedingungen. Schließlich kühlen die Brisen das mediterrane Klima und verlängern so die Reifeperiode. So ist die Region durchschnittlich ein Grad Celsius kühler als das heiße Barossa Valley. Dennoch ist so warm, dass die Reben keinen Frost abbekommen.
Mit knapp 1.000 Millimetern im Jahr ist es außerdem die regenreichste Region in Australien. Zum Vergleich: im Barossa Valley fallen nur 420 Millimeter. Trotzdem sind die Pflanzen in Margaret River vor Fäulnis geschützt, denn es regnet vor allem im Winter. Die Sommer sind lang und trocken und das Klima erinnert ein wenig an Bordeaux in einem warmen (und trockenen) Jahr. Auch bei den Böden gibt es Parallelen zu Frankreichs legendärer Weinregion. In beiden gibt es einen hohen Anteil an Kies, der - falls es doch mal mehr regnen sollte - schnell wieder trocknet. Hinzu kommen in Australien Granit und Gneis - also hauptsächlich nährstoffarmer Boden, der die Reben im Wachstum begrenzt. Sprich geringer Ertrag mit intensiver Aromatik. Und damit perfekte Bedingungen für hochwertigen Wein. Die Hohnens waren euphorisiert und witterten Winzerglück.
Verrückte Zeiten: Container, Mütter, Vogelnetze
Der Start war schleppend. Sie hatten wenig Kapital, aber unkonventionelle Methoden. In den sparsamen Anfängen bauten sie Schiffscontainer vom berühmten Weingut Hardy's um, in denen sie dann ihre Trauben vergären ließen. Als Stahltanks dienten ihnen ehemalige Tanks der "Sunny West Cheese Company". Man improvisierte also, wo man konnte. Oder musste. Denn als Außenseiter wurden die Hohnens von den ansässigen Milchbauern kritisch beäugt. Was so weit ging, dass sich kaum einer der Einheimischen bei ihnen zur Ernte etwas dazuverdienen wollte. Daher vergab man die Jobs an die Mütter des Orts. Ein Glücksgriff, denn sie waren "viel zuverlässiger als die Surfer", wie sich David Hohnen im Gespräch mit dem britischen Weinmagazin Decanter erinnert.
Eine weitere Herausforderung kam aus der Luft. Silvereye, ein kleiner Sperling mit spitzem Schnabel. Das Tier hatte einen gesegneten Appetit auf reife Beeren - und Cape Mentelle keinen Schutz. Denn alle Netze, die sich die Hohnens leisten konnten, waren nicht engmaschig genug. Erst, als jemand in China einen günstigen Hersteller für engmaschige Netze entdeckte, konnten man bei Cape Mentelle das Problem lösen. Und Silvereye aussperren. Warum das wichtig ist? Nun, so konnten die Beeren länger hängen bleiben. Auf diese Weise bekamen die Weine intensivere Fruchtaromen und Farbe. Außerdem blieben mehr Beeren übrig, der Ertrag stieg. Rückblickend beschreibt David Hohnen im Interview mit dem britischen Autor Jamie Goode die Anfangsjahre als beständigen Versuch, "mit Ellenbogen über Glasscherben zu robben." Vor diesem Hintergrund ist der Weg an die Qualitätsspitze von Cape Mentelle umso erstaunlicher.
Cape Mentelle: Mit Cabernet Sauvignon zum Erfolg
Sie mussten ihren Weinstil erst finden und bauten zu Beginn daher sehr viel an: die roten Sorten Cabernet Sauvignon und Merlot, weil man eben ans Bordeaux dachte. Zinfandel, weil David Hohnen seit seiner Zeit in Kalifornien mit ihr vertraut war, und etwas Shiraz. Als weiße Sorten pflanzten sie Sauvignon Blanc und Riesling. Langsam kristallisierte sich Cabernet Sauvignon als besonders heraus, da ihre Weine hier äußerst fruchtbetont und kraftvoll gerieten. Sie weckten in David Hohnen den Wunsch, "einen großen australischen Cabernet" zu machen, "der mich überdauert." Sein Anspruch war so hoch wie die Preise. Cape Mentelles Weine galten als überteuert, denen es an Substanz fehlte. Doch das änderte sich 1983 schlagartig.
Denn da gelang Cape Mentelle etwas Außergewöhnliches. Ihr einjähriger Cabernet Sauvignon 1982 gewann die begehrtesten Wein-Auszeichnung des Kontinents, die Jimmy-Watson-Memorial-Trophy. Und damit stand er auf einmal in einer Reihe mit Rotwein-Größen wie Penfolds legendärem 'Grange'. Cape Mentelles Cabernet war dicht, mit Aromen von Brombeere und Brombeerblätter und einem vollem Tannin-Abgang und einem Lagerpotenzial von zwei Dekaden. Fast wie um die letzten Zweifler eines Besseren zu belehren, räumten die Hohnens die Trophäe im folgenden Jahr erneut ab. Mit ihrem Cabernet Sauvignon 1983 bewiesen sie, dass sie Winzer waren, die ihr Handwerk zur Kunst verfeinert hatten. Zufallstreffer ausgeschlossen. Margaret River hatte in der Weinwelt ein gewaltig großes Ausrufezeichen gesetzt, Cape Mentelle wurde zur Legende.
Cape Mentelles Goldgrube
Dennoch blieben die finanziellen Herausforderungen. Zwar verkaufte Cape Mentelle mehr als vorher, aber es warf nicht genügend Gewinn für neue Investitionen ab. Was David Hohnen nun machte, ist ziemlich beeindruckend und gehört zu Cape Mentelles Geschichte genauso wie die doppelte Wein-Trophäe. Er nutzte seinen Ruf und gründete einen Kontinent weiter noch ein Weingut. 1985 erblickte Cloudy Bay in Neuseeland das Licht der Welt. Das ebenfalls zum Kult avancierte und nebenbei einen neuen Weinstil begründete. Den tropisch-frischen Marlborough-Sauvignon Blanc. Das neue Schwestern-Weingut wurde in kürzester Zeit extrem erfolgreich. Und zwar so erfolgreich, dass ein Teil der Gewinne in Australien reinvestiert werden konnte.
Damit konnte David Hohnen in Margaret River neue Rebflächen kaufen und weitere Reben anbauen. Außerdem verschob es den Fokus im Portfolio. Machten vorher lagerfähige, exzellente und teure Rotweine das Gros der Produktion aus, vinifizierte man jetzt mehr Weißweine, die kaum Lagerkosten verursachten. Die Idee lag auf der Hand: Konnte es ihnen gelingen, in Australien einen Sauvignon Blanc zu kreieren, der ähnlich erfolgreich werden konnte? Natürlich sollte der anders werden, man wollte etwas mit mehr Körper und Würze. Dafür orientierte man sich am Bordeaux und assemblierte wie dort Sauvignon Blanc mit Sémillon, der im Eichenfass reifte. Ein Stil, der einschlug und den Cape Mentelle in Australien populär machte. Der Laden brummte. Man war auf der Suche nach einem größeren Vertriebsnetz und hungrig darauf, mehr Wein zu machen.
Auf neuen Wegen: Veuve Clicquot
1990 geschah das Gewünschte für Cape Mentelle. 14.328 Kilometer entfernt war das Champagnerhaus Veuve Clicquot auf sie aufmerksam geworden. Es kaufte 50 Prozent der Anteile an Cape Mentelle und Cloudy Bay. Damit hatte David Hohnen den ersehnten Zugang zu einem weltweiten Vertriebssystem. Natürlich gab es Skeptiker, die befürchteten, dass sich der Stil des Hauses ändern würde. Oder die Weinqualität nachließ, weil man zu sehr an Profit orientiert war. Nichts davon passierte. Cape Mentelle konnte unabhängig arbeiten, denn die Champagner-Spezialisten redeten ihnen nicht in die Stillwein-Produktion hinein. Noch besser, der Gewinn wurde sogar bei Cape Mentelle reinvestiert. Sie waren "perfekte Investoren", erinnert sich David Hohnen im Gespräch mit der Staatlichen Bibliothek von Südaustralien, und "außergewöhnlich unterstützend."
Vor Ort sah das so aus: Man hatte Geld, um die Rebflächen um weitere 40 Hektar verdoppeln zu können. Im neuen Chapman-Weinberg lag der Fokus auf den weißen Sorten Sauvignon Blanc, Sémillon, Viognier und Chardonnay. Letztere ist besonders, denn man pflanzte den in Margaret River üblichen Klon Gingin. Dieser hat kleinere Beeren als andere Klone und entwickelt eine herrlich konzentrierte Aromatik von Steinobst und tropischen Früchten plus eine natürlich hohe Weinsäure. Neben dem einzigartigen Terroir also ein weiteres Geheimnis für die komplexen und eleganten Chardonnay aus Margaret River, die ans Burgund denken lassen. Australiens einflussreichster Kritiker James Halliday zeichnet Cape Mentelles eigenständige Chardonnay regelmäßig mit hohen Bewertungen aus.
Cape Mentelle ohne David Hohnen
Eigenständig ist ein gutes Stichwort. Auch als David Hohnen 2000 seine Anteile komplett verkaufte, blieb Cape Mentelle selbstbestimmt. Zwar erwarb Veuve Clicquot das Weingut zu 100 Prozent. Aber der französische Eigentümer hält sich weitgehend raus. Dafür investiert man, wo es sinnvoll ist. Auf dem Wunschzettel des jungen Teams von Cape Mentelle um Geschäftsführerin Penny Dickeson standen etwa Drohnen. Damit Winzer David Moulton, Coralie Lewis und Ben Cane nicht immer selbst durch die Rebzeilen laufen müssen. Um noch gezielter auf die Reben eingehen zu können. Denn die Drohne erkennt aus der Luft den Chlorophyllgehalt in den Blättern einfach viel schneller und zudem präziser. Hat man früher bei Cape Mentelle etwa eine ganze Reihe Reben ausgedünnt oder gedüngt, beschränkt man sich jetzt auf die Bereiche, die die Drohne anzeigt. Smart und effizient!
Der Erfolg gibt ihnen recht. Schließlich gehört Cape Mentelles Cabernet Sauvignon weiterhin unbestritten zu den Top-Gewächsen in Down Under. Als einer von lediglich 136 Weinen gehört er zur Langton's Classification - Australiens Antwort auf die berühmte Bordeaux-Klassifikation von 1855. In der aktuellen, siebten Langton's-Edition von 2018 ist die "moderne Legende" Teil des exklusiven Clubs. Aber nicht nur das Flaggschiff von Cape Mentelle strahlt mit ungebrochenem Ruhm. Für James Halliday ist es "schwer zu sagen, welcher der Weine der beste ist." Ähnlich euphorisch ist die britische Weinkritikerin Jancis Robinson, die Cape Mentelle attestiert, dass es einen "unglaublichen Anteil der raffiniertesten Weine Australiens" produziert. Sie sehen - ob Kult-Cabernet-Sauvignon, populärer Blend aus Sauvignon Blanc und Sémillon oder aromatisch-eleganter Chardonnay - die Weine faszinieren die eingefleischtesten Kritiker. Was auch daran liegt, dass die Gewächse den einzigartigen Charakter dieser paradiesischen Weinregion ins Glas zaubern.
Copyright Titelbild: © Cape Mentelle
1 Anwort auf „Cape Mentelle: Kult-Weingut aus Westaustralien“
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