"ABC - Anything, but Chardonnay". Also: "Alles, bloß kein Chardonnay." So lautete der gastronomische Schlachtruf kalifornischer Weinkritiker Ende des 20. Jahrhunderts. Sommeliers, die ihren Gästen weiterhin den zuvor beliebten Chardonnay einschenken wollten, hatten es auf einmal verdammt schwer. Doch wie kam es dazu? Hatten sich die Weine etwa so stark verändert?
Der Schlachtruf richtete sich gegen die kalifornischen Chardonnay, die als restsüße Frucht- und Holzfass-Bomben daherkamen. Die kritisierten Chardonnay waren ordentlich üppig: sie geizten weder mit Noten von reifem Pfirsich und Banane noch mit denen von Toast und Butter. On top hatten sie viel Alkohol - bis zu 16 Volumenprozent! - und waren sehr, sehr cremig. Die preisgünstigen unter ihnen waren zusätzlich noch karamellig süß. Weil Chardonnay in Kalifornien davor viel eleganter war, rebellierte nun eine Schar von Weintrinkern. Schauen wir uns mal an, wie der Wein vorher so war.
Die ersten Versuche: Chardonnay in den USA
Dazu springen wir etwa ein halbes Jahrhundert zurück. Einer der ersten berühmten Weißwein-Pioniere war das Weingut Stony Hill Winery im kalifornischen Napa Valley. Dessen Winzer brachten 1957 einen Chardonnay heraus, der im neuen Eichenfass ausgebaut wurde. Und das gab es vorher so nur außerhalb der Vereinigten Staaten. Mit dieser Geschmacksrevolution in kalifornischen Weißweingläsern wurde die Stony Hill Winery zum Vorbild für viele Winzer der Region.
Denn den Ausbau im neuen Eichenfass kannte man eher von französischen Chardonnay-Weinen. Allen voran denen aus dem Burgund, der Region im französischen Osten, die schon damals für ihre Weißweine weltberühmt war. Dort interessierte man sich allerdings wenig bis gar nicht für die Experimente der Winzerkollegen auf der anderen Seite des Teiches. Zwanzig Jahre später sollte sich das allerdings drastisch ändern. Durch ein einschlägiges Ereignis, das in die Weingeschichtsbücher eingegangen ist.
Auf einmal weltberühmt: Kalifornischer Chardonnay
Die kalifornischen Winzer zeigten der Weinwelt im Jahr 1976, wie gut sich sich mittlerweile auf Chardonnay verstanden. Denn da lancierten sie die kalifornischen Chardonnay mit einem Paukenschlag auf den internationalen Weinkarten. In einer berühmt gewordenen Blindverkostung, der so genannten "Weinjury von Paris", brillierten diese mit ihren Vertretern aus dem Burgund erfolgreich um die Wette. Bei den Chardonnay erhielt der kalifornische Chateau Montelena von 1973 den ersten Platz. Erst dahinter folgte ein Chardonnay aus Frankreich. Was für eine Revolution in der Weinszene!
Schauen wir uns kurz den Stil von Chateau Montelenas Sieger an. Kellermeister Mike Grgich ließ den Chardonnay acht Monate in Barriques reifen. Die Barriques waren bereits einmal für anderen Wein benutzt worden. Aber das war nur aus der Not heraus geboren. Grgich hätte gern - wie die meisten seiner kalifornischen Kollegen - neues Holz verwendet, hatte aber keins zur Verfügung. Mit den rund 13 Volumenprozent Alkohol war sein Chardonnay genau so wie der seiner Kollegen: Zwar kein Leichtgewicht, aber doch eleganter als die späteren Varianten.
Grgichs Rezept schlug ein. Die Nachfrage nach kalifornischem Chardonnay stieg auch deshalb rasant, weil die Weine bei Weitem nicht das Preisniveau der Burgunder-Varianten erreichten. So kostete der Chateau Montelena lediglich sechs Dollar fünfzig, als er vor der Blindverkostung auf den Markt kam. Um die Nachfrage zu erfüllen, klotzten die Winzer ran. Entsprechend wurde die Rebfläche der Sorte stark erweitert. Um 1990 war sie mit 23.000 Hektar sogar um 3.000 Hektar größer als diejenige von Frankreich. Damit änderte sich bald auch die stilistische Bandbreite ihrer Chardonnay.
Der üppige Chardonnay-Stil
Denn neue Chardonnay-Flächen wurden oft im warmen Landesinneren angelegt. Durch die Wärme konnten die Trauben viel Zucker und Fruchtaromen ausbilden. Allerdings bestand dadurch die Gefahr, den besten Lesezeitpunkt zu verpassen. Dabei ist gerade der für Chardonnay wichtig. Denn werden die Trauben zu spät geerntet, haben sie bereits zu viel Weinsäure abgebaut - meist ein Garant für eindimensional schmeckende Weine. Und ein Garant für hohe Alkoholwerte. Denn je mehr Zucker in der Traube, desto mehr können die Hefen in Alkohol umwandeln.
Um kostengünstig mehr Geschmack hineinzubringen, gab man simple Eichenholzspäne hinzu, während sie reiften. So kam immerhin das beliebte Barrique-Aroma hinzu. Diese üppigen, restsüßen, karamellig-buttrigen Varianten verkauften sich sehr gut. Für manche Fans waren karamelliger Geschmack und Chardonnay so sehr miteinander verbunden, dass sie davon ausgingen, der Geschmack käme aus den Trauben selbst. Aufgrund dieser Popularität setzen auch Weingüter im höheren Preissegment auf diesen Stil. Dieser neue Typ hatte seine Hochphase von Ende der 1980er-Jahre bis Mitte der 2000er-Jahre.
Pro und Contra
Genau gegen diese fruchtbetonten, alkoholreichen Chardonnay mit Restsüße richtete sich dann die Kritik der ABC-Bewegung. Nun könnte man meinen, dass sich dann die Rebflächen von Chardonnay verringerten. Weit gefehlt. Zum einen missbilligten nicht alle Weinkritiker diese Power-Chardonnay. Im Gegenteil. Robert Parker und den Verkostern des Wine Spectator gefielen diese Weißweine. Ihre hohen Bewertungen hielten dann auch den Verkauf stabil. Zum anderen erfreute sich der auch Weinanfängern zugängliche Supermarkt-Chardonnay weiter großer Beliebtheit.
Denn auch nach 1990 erweiterten sich die Rebflächen beständig und haben sich nahezu verdoppelt. Von 23.000 Hektar auf heute 41.000 Hektar. Und damit ist man eben auf Platz zwei weltweit. Platz eins gebührt Frankreich. Denn dort tauchte die Rebsorte nicht nur zum ersten Mal auf. Dort haben Winzer auch zwei Stile geprägt, an denen sich die kalifornischen Chardonnay orientiert haben, bevor sie üppig wurden.
Stilikone Nummer Eins in Burgunds Süden
Unmittelbar südlich der traditionsreichen Stadt Dijon befindet sich das Herz der Weinbauregion Burgund, die Côte d’Or. Hier liegen die Rebflächen, von deren Trauben seit Jahrhunderten sehr hochwertige Chardonnay-Weine entstehen. Einige der berühmtesten finden Sie in den Anbauzonen Meursault, Corton-Charlemagne und Montrachet. Über Chardonnay aus der letzterem Gebiet soll der französische Schriftsteller Alexandre Dumas konstatiert haben, dass sie nur kniend und mit gesenktem Haupt genossen werden sollten. Um den einzigartig guten Weinen die gebührende Ehre zu erweisen.
Die Chardonnay von der Côte d’Or sind dicht und zeichnen sich durch großen Körperreichtum aus. Den können Sie schon im Glas sehen, denn dort schimmern diese in intensivem Goldgelb. Die Aromen sind reichhaltig und reif, erinnern an Pfirsiche, Haselnüsse, Marzipan, Butter, Honig und Vanille. Im Mund wirken sie kraftvoll und zugleich weich und geschmeidig. Auch, weil sie meist im kleinen, neuen Barrique vergoren wurden und dort um die sechs bis neun Monate reiften. Denn das sorgt für eine herrlich cremige Textur und Toastnoten. Zusätzlich steigert der Ausbau im Holzfass das Lagerpotenzial dieser Weine auf bis zu zwei Jahrzehnte.
Vorbild Weißer Burgunder
Dieser Typ ist dann auch der Inbegriff eines körperreichen Chardonnay aus dem Burgund. Und der ist trotz aller Cremigkeit und Röstaromen immer trocken, mit feiner Weinsäure und wirkt nie überladen. Mit um die 13,5 Volumenprozent ist der Alkoholgehalt so moderat wie bei den frühen kalifornischen Chardonnay. Der Grund für die hohe Qualität der Côte d’Or-Weine ist nicht nur in den stark kalkhaltigen Böden und günstigen Hanglagen zu suchen, sondern auch im Know-how der Weinmacher. Denn um diesen besonderen Stil zu erzeugen, haben die Kellermeister während des Ausbaus im Barrique ein paar weitere technische Kniffe in petto.
Für noch mehr Fülle und Cremigkeit sorgen Batônnage und der biologische Säureabbau (BSA) - auch malolaktische Gärung genannt. Für die Batônnage wirbeln Kellermeister, während der Wein vor sich hinreift, mit einem Rührlöffel die Hefe auf. Der längere Hefekontakt macht den Wein geschmeidiger. Das zweite Verfahren, die malolaktische Gärung, durchläuft der Wein im Holzfass meist automatisch. Dabei wird schärfer wirkende Apfelsäure in mildere Milchsäure umgewandelt. Beide Methoden sowie der Ausbau im neuen Barrique haben ihren Ursprung im Burgund. Und sind weltweit die Richtschnur für Spitzen-Chardonnay. Außer - nun ja, hundert Kilometer weiter nördlich.
Stilikone Nummer 2: Chablis
Mineralisch, knackig, glasklar - die Weißweine, die nördlich von der Côte d’Or aus Chardonnay entstehen, sind anders. Sowohl verglichen mit diesen als auch mit dem kalifornischen Power-Wein. Die Heimat dieses besonderen Stils ist das Anbaugebiet Chablis. Aufgrund der Lage und des damit herrschenden kühlen Klimas schmecken diese Chardonnay nämlich weitaus frischer, mineralischer und säurebetonter als die beiden oben genannten Varianten. Der Alkoholgehalt darf hier 13,5 Volumenprozent nicht übersteigen.
Die Rebe kommt an sich mit den verschiedensten Bodenarten gut zurecht. Die besten Chardonnay-Weine entstehen entstehen jedoch auf relativ kargen Böden mit hohem Kalkanteil. So wie eben im Chablis auf dem berühmten Kimmeridge-Boden. Dieser zeichnet sich durch einen Mix aus Kalk und Ton mit fossilen Muscheln aus. Und genau das sorgt dafür, dass die besten Chablis nach Mineralik und milder Frucht zugleich schmecken. Komplex eben.
Eine weitere Besonderheit ist der Ausbau. Denn Winzer im Chablis lassen ihre Weine meistens im Edelstahltank vergären. Und eben nicht im Eichenfass. Da kommt kein Molekül Holzaroma in den Most. Auch Bâtonnage und malolaktische Gärung findet man nicht. Denn man will eindeutig den zarten Geschmack der Traube in den Wein bringen. Im Glas riechen Chablis dann nach grünem Apfel, Birne und Zitrusfrüchten, unterlegt von etwas Heuduft und mineralischen Noten. Der hohe Gehalt an Weinsäure sorgt dafür, dass Top-Weine sogar bis zu zwei Jahrzehnte lagern können. Denn diese hemmt das Wachstum von Bakterien. Und weil im Chablis eben die Traube im Mittelpunkt steht, schauen wir uns die mal näher an.
Merkmale von Chardonnay
Die Trauben der Chardonnay-Rebe sind meist mit mittelgroßen, rundlichen Beeren besetzt. Ihre Farbe ist grüngelb und verändert sich mit zunehmender Reife hin zu einem satten Gelb oder leuchtenden Bernsteinton. Die Schale der Beeren ist nur dünn bis mitteldick, was sie vor allem in feuchten Gegenden wie im Chablis empfindlich gegen Pilzkrankheiten wie Mehltau oder Grauschimmel macht.
Diesen kleinen Nachteil macht sie aber wieder wett. Denn sie ist ziemlich robust und liefert verlässlich hohe Erträge, sowohl in kühlen als auch warmen Regionen. Daher ist sie eine der weltweit am häufigsten angebauten Rebsorten. Da sie sehr schnell wächst, gehen Winzer meist im Frühjahr und Sommer durch die Weinberge und entfernen überzählige Trauben und Blätter. So erhalten die verbleibenden Trauben genügend Sonne, reifen optimal aus und ergeben später einen konzentrierten Wein. Besonders wichtig ist das eben in kühlen Gebieten. Richtig gepflegt kann sie dort zu einer weiteren Hochform auflaufen.
Schaumweine
Die nördlich gelegene Champagne bietet der Rebe - wie das Chablis - kalkhaltige Böden und ein kontinental kühles Klima. Ideal für die früh reifende Chardonnay, wenn sie Aromen nach grünem Apfel und eine hohe Weinsäure ausbilden soll. Etwa für den edlen Champagner, für den sie neben Pinot Noir und Pinot Meunier eine perfekte Basissorte ist. Sie bringt die Frische und den Biss in das edle Luxusgetränk. Werden Champagner komplett aus Chardonnay gekeltert, so nennt man diese Besonderheit "Blanc de Blancs" - "Weißer aus Weißen".
Überall dort, wo auf der Welt Schaumweine erzeugt werden, wird meist auch Chardonnay angebaut. Sie finden Rebflächen in Südafrika, Neuseeland und - damit schlagen wir den Bogen zurück - in Kalifornien. Denn das Champagnerhaus Louis Roederer hat früh das Potenzial der kühleren kalifornischen Rebflächen für Chardonnay erkannt. Für Schaumweine. Und gründete 1980 nördlich von San Francisco ein Weingut, das bis heute vor Ort hervorragende Sparklings herstellt.
Chardonnay heute
Ob Schaumweine aus Chardonnay oder Stillweine von mineralisch-elegant bis cremig-füllig: die Sorte ist weiterhin wahnsinnig beliebt! So verdreifachte sich auch ihre globale Anbaufläche von 70.000 Hektar im Jahr 1990 auf heute reichlich 200.000 Hektar! Damit hat sie sich im Rebsortenranking einfach mal auf Platz fünf gesetzt. Vor ihr liegen nur noch die roten Sorten Tempranillo, Cabernet Sauvignon und Syrah sowie die weiße Sorte Sauvignon Blanc. Ein Grund: die Sorte erbringt in vielen Klimata wunderbar unterschiedliche Weine.
Neben Frankreich und Kalifornien ist sie fast überall zu finden. Große Rebflächen belegt sie in Australien, Norditalien und Chile. Aber auch dort, wo sie auf weniger Hektar wächst, entstehen aus ihr interessante Weine. So wächst sie in Deutschland zwar nur auf 2.000 Hektar, hat aber in Baden eine steile Karriere hingelegt: Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) erlaubt sie für die Spitzen-Kategorie der sogenannten Großen Gewächse. Im Nachbarland Österreich heißt die Sorte in der Steiermark übrigens Morillon. Und dürfte die einzige Region sein, wo Chardonnay inkognito auftritt.
Falls Sie jetzt Lust auf Chardonnay haben, schlagen wir Ihnen Ihre private Jury von Paris vor. Wie wäre es mit einem mineralischen Chablis aus dem Edelstahl und einem im Holzfass gereiftem Exemplar? Letzteres wahlweise aus Kalifornien oder dem südlichen Burgund, wenn Sie es ursprünglicher wollen. Wir mögen beide Varianten (und alle dazwischen) und lieben die Sorte genau dafür, dass sie so Vielseitiges ermöglicht. Daher heißt für uns ABC dann auch eindeutig: Aber bitte Chardonnay!
68 Antworten auf „Chardonnay: Wandlungsfähige Rebsorte“
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[…] meisten Menschen assoziieren mit der Champagne drei Rebsorten: die weiße Chardonnay sowie die roten Sorten Pinot Noir und Pinot Meunier. Das hat auch einen guten Grund. Von 34.000 […]
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[…] Rebsorte, die dort am häufigsten angepflanzt wird. Nämlich Riesling. Allerdings dicht gefolgt von Chardonnay. Beide Sorten finden auf dem vulkanischen Boden im Yakima Valley ideale Bedingungen. In der […]
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[…] ist eine hervorragende Wahl, wenn Sie Chardonnay mögen, der nicht im neuen Holzfass ausgebaut wurde. Schließlich sollen die für neue Holzfässer […]
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[…] Sauvignon und Merlot auch internationale Gewächse durchsetzten. Im weißen Bereich ergänzt indes Chardonnay die autochthonen Sorten Malvasia und […]
[…] war ein Großteil der 17.500 Hektar großen Rebfläche mit weißen Rebsorten wie Sauvignon Blanc, Chardonnay, Chenin Blanc, Colombard, Sémillon und Hanepoot (Muscat d’Alexandrie) bestockt. Auch heute noch […]
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[…] dann ist da natürlich noch eine weitere Rebsorte, die gerade zu Pilzen und Kürbis auftrumpft. Chardonnay. Ob nun als Chablis mit knackiger Weinsäure und mineralischen Anklängen oder als Meursault mit […]
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