Man möchte es kaum glauben, aber im 17. Jahrhundert soll es so viel Wein in der Navarra gegeben haben, dass damit Zement angemischt wurde. Man wusste in einer der ältesten Weinbauregionen der Welt einfach nicht, wohin damit. Diese Zeiten haben sich geändert und heute schlägt - salopp formuliert - der Wein zurück. Und lässt sich in Zementtanks ausbauen. Denn eine experimentierfreudige junge Winzergeneration tüftelt daran, den Navarra-Weinen eine eigene Identität zu verleihen. Etwa, indem sie ihre Weine nicht nur in traditionellen Holzfässern ausbaut, sondern eben auch in Zement, um die Frische und den eigenen Charakter der Trauben zu bewahren. Der Trend geht seit einer Weile zu terroirbetonten Weinen. Zu denen weiter unten mehr. Betreten wir zuerst die imposante Gegend.
Landschaftlich dreht sich das Kaleidoskop der Navarra vom nahezu unberührten, dichten Wald Irati bis hin zur spektakulären Wüstenlandschaft Bardenas Reales. Dort kreisten schon für die Kult-Serie "Game of Thrones" die Geier. Einmal vor Ort, ist es schwer, der Navarra zu widerstehen. Bereits der Schriftsteller Ernest Hemingway seufzte: "Es ist eine Schande, dass van Gogh nicht dazu gekommen ist, die Navarra zu malen." Und so vielfältig wie die Landschaft sind heute auch die Weine. Schauen wir uns zunächst die Weine der Region genauer an, die seit 1975, also bald einem halben Jahrhundert, den hochwertigen Status einer DO (Denominación de Origen) hat.
Navarras Wein-Vielfalt
Die Navarra blickt auf eine lange Erfahrung zurück: Bereits im 2. Jahrhundert vor Christus wurde Wein hergestellt. Auch aufgrund dieser Erfahrung reicht heute die Bandbreite von einfachen jungen Varianten bis hin zu international prämierten Spitzen-Gewächsen. Knapp zwei Drittel sind Rotweine, gefolgt von Rosé mit 25 Prozent. Hingegen machen Weiß- und Süßweine nur einen geringen Teil der Produktion aus. Eine Rarität sind süße und perlende Versionen aus Moscatel. Auf 70 Prozent der Flächen wachsen autochthone Rebsorten, der Rest ist mit internationalen Sorten bestockt.
Rotwein-Stars
Trotz ihrer Vielfalt ist die Navarra Rotweingebiet. Tempranillo, Spaniens Starrebe Nummer 1, nimmt gegenwärtig den größten Teil der Rebfläche ein. Dicht dahinter befindet sich Garnacha und auf Platz drei die französische Cabernet Sauvignon. Daneben gibt es die autochthonen Sorten Graciano und Mazuela, ergänzt um weitere französische Sorten, Merlot, Syrah und Pinot Noir.
Die meisten Rotweine werden zu Blends ausgebaut. Zum einen sind das Blends, die sich an den berühmten Exemplaren aus der Rioja orientieren. Genau wie dort nehmen Winzer in der Navarra Tempranillo als Basis und ergänzen sie mit den Sorten Garnacha, Graciano und Mazuelo. Diesen Rebsorten-Mix haben die lange in Eiche gelagerten Reservas und Gran Reservas aus der Rioja international bekannt gemacht.
Der Stil in der Navarra ist ähnlich, aber etwas leichter. Denn zum Ausbau wird hier häufiger französische Eiche verwendet. In der Rioja herrscht noch amerikanische Eiche vor, die intensivere Röstaromen an den Wein abgibt. Für den unbekannteren Nachbarn Navarra müssen Sie in der Regel weniger bezahlen. Zum anderen können Sie in der Navarra Blends aus Tempranillo und den französischen Sorten Cabernet Sauvignon und Merlot entdecken.
"Gin Tonic"-Rosados
Kommen wir zur zweithäufigsten Rotweinsorte in der Navarra, zur Garnacha (auch Garnatxa oder Grenache genannt). Aus ihr wurden früher zumeist süffige Rosé-Weine gemacht, die hier Rosados heißen und immer noch hergestellt werden. Aber keine Angst: Die Rosé von heute sind deutlich komplexer als frühere Versionen. Sie duften nach frischen roten Früchten, haben wenig Tannine und einen mittleren Alkoholgehalt. Wie gut dieser Imagewandel gelungen ist, lesen Sie in der renommierten spanischen Zeitschrift El Pais. Dort bezeichnete der Journalist Javier Sanchez Castro die Rosados aus der Navarra als "neuen Gin Tonic"! Neben Rosados und Rotweinen gedeihen auch Weißweine prächtig. Und das liegt am besonderen Mix der Klimazonen in den fünf Subzonen.
Fünf Subzonen in der Navarra
Die Weinbauregion Navarra liegt südlich von Pamplona, der Hauptstadt der autonomen Region Navarra. Hier gibt es eine ähnlich komplexe Klimasituation wie in der benachbarten Rioja. Und so finden sich hier ebenfalls ideale Bedingungen für den Qualitätsweinbau. Verschiedene Elemente treffen in der Navarra aufeinander: das kontinentale Klima wird abgemildert durch die Einflüsse vom Atlantischen Ozean (Golf von Biskaya) im Nordwesten, die Pyrenäen im Norden, mediterrane Einflüsse aus dem Osten und den Fluss Ebro im Süden.
Das wirkt sich natürlich auf Sonne und Regen in der Navarra aus: Während es in Bergnähe bis zu 800 Millimeter im Jahr regnet, sind es im Süden und Osten lediglich 300. Die mittlere Sonnenscheindauer liegt zwischen 2.200 Stunden im Jahr im Norden und 2.500 Stunden im Süden. Kein Wunder, dass es in der über 10.000 Hektar großen DO ganze fünf Subzonen gibt: Im Norden die Zonen Valdizarbe, Tierra Estella und Baja Montaña, im Zentrum die hügelige Ribera Alta und ganz im Süden an der Grenze zur Rioja das fruchtbare Gebiet Ribera Baja. Und die stellen wir Ihnen von Norden kommend hier kurz vor.
Drei Subzonen im Norden
Der Norden umfasst die drei Subzonen Valdizarbe, Tierra Estella und Baja Montaña. Verglichen mit den beiden anderen Subzonen sind die Weine hier eleganter, was auch am kühleren Klima liegt.
Valdizarbe im Norden und Tierra Estella im Nordwesten sind zwei der drei kleinsten Subzonen. In beiden gibt es je 12 Weingüter beziehungsweise Kooperativen. Die Weinberge liegen in den Ausläufern der Pyrenäen, und damit auf 600 bis 700 Meter Höhe. Die Böden sind hier so unterschiedlich, dass Winzer die Parzellen sorgfältigst aussuchen müssen, um die Gefahr von Frühlings- und Herbstfrost zu reduzieren. Hier entstehen durch die Höhenlagen elegante Weine aus Tempranillo, Garnacha und französischen Sorten. Die junge Bodega Tandem baut ihre Weine in Tierra Estella unter anderem in Zementtanks aus. In der Tierra Estella befindet sich auch das älteste Weingut der Navarra, die Bodegas Julián Chivite. Chivites Chardonnay "Colecciòn 125" ist legendär und seitdem er zur Hochzeit des spanischen Kronprinzen Felipe mit Letizia Ortiz kredenzt wurde, nur schwer zu bekommen.
Östlich von Valdizarbe schließt sich die Zone Baja Montaña an. Sie hat nur zwei Weingüter mehr als die beiden oben genannten. Hauptsächlich bauen Winzer hier rote Sorten an, allen voran Garnacha mit mehr als 60 Prozent und Tempranillo mit 25 Prozent. Es ist das Gebiet mit dem größten Einfluss der Pyrenäen. Die Böden sind von Ton mit etwas Kalkstein geprägt. Auch hier enstehen elegante Weine.
Das berühmteste Weingut in Baja Montaña ist die kleine Domaines Lupier. Die Rebstöcke in den einzeln ausgesuchten Mikro-Parzellen haben ein für Weinstöcke fast schon biblisches Alter: Einige wurden bereits 1903 gepflanzt und sind fast 120 Jahre alt. Der 'La Dama' ist eine der modernen Wein-Ikonen Spaniens. Über die 2016er-Edition schreibt Luis Gutiérrez, Robert Parkers Chef-Verkoster für spanische Weine: "Dies muss der bisher filigranste, feinste und mineralischste Jahrgang sein." Und vergab große 97 Punkte.
Ribera Alta im Zentrum
Mengenmäßig ist Ribera Alta die größte Subzone: Ein Drittel aller Rebflächen befinden sich hier. Dementsprechend gibt es auch die meisten Weingüter, ganze 26. Klimatisch und geographisch ist der Bereich ein Mix aus dem kühleren, vom Atlantik und den Pyrenäen beeinflussten Norden, und dem heißen, kontinentalen Süden. Die Hauptrebsorte ist Tempranillo, daneben werden Graciano und französische Rebsorten angebaut. Diese werden hier deutlich später als im Bordeaux gelesen, in Höhenlagen manchmal erst im November. Die Böden variieren stark, von Kies, Sand, Mergel, Kalk und Schwemmlandböden in Flussnähe ist alles vertreten. Das Vorzeige-Weingut Ochoa macht herausragenden Graciano und einen überraschenden Süßwein aus spät gelesenen Moscatel-Trauben. Eine Sorte, die man auch als Sherry-Traube kennt.
Der Süden mit Ribera Baja
Ribera Baja ist eines der traditionell besten Anbaugebiete der Denominación. Bei den 22 Weingütern dominieren die roten Rebsorten Tempranillo und Garnacha (sehr gut aus dem äußersten Süden). Bei den Weißen gibt es die höchste Konzentration an Viura und Moscatel innerhalb der Navarra. Die Weinberge liegen auf bis zu 250 Metern Höhe. Es herrscht trocken-kontinentales Klima mit heißen Sommern vor, das der Fluss Ebro abmildert. Die Bewässerung erfolgt zum Teil durch Kanalsysteme, die noch auf die Römer zurückgehen.
Ein Star in Ribera Baja ist das Weingut Viña Zorzal. Ein Highlight von Zorzal ist ihr 'Nat'Cool', der sich irgendwo zwischen Manifest und trinkbarer Anarchie bewegt. Damit hat sich das Weingut dem gleichnamigen neuen "Weintyp" von Portugals Querdenker Dirk Niepoort angeschlossen. Die Aufgabe eines 'Nat'Cools' ist ganz klar in einem Acht-Punkte-Programm geregelt. Dabei besagt der erste Punkt, dass es keine verbindlichen Regeln gibt und der letzte, dass der Winzer einfach einen leichten, trinkanimierenden Wein auf die Flasche bringen soll. Für uns ein weiteres erfrischendes Beispiel dafür, wie dynamisch die Region ist.
Die jungen Winzer von Zorzal haben außerdem ein Potpourri an Methoden für Terroir-Wein im Programm: rigorose Handlese, spontane Fermentierung mit weinbergseigenen Hefen, einen eher kurzen Ausbau im gebrauchten Fass und minimale Erträge von alten Reben. Und jetzt kommen wir dazu, was das alles mit dem Terroir zu tun hat!
Terroirgeprägte Weine
Für die jungen Winzer in der Navarra entsteht Wein - ganz wie in Frankreich - im Weinberg und nicht hauptsächlich im Keller. Dafür gibt es den Begriff "Terroir". Stark vereinfacht ist es daher die Aufgabe des Winzers, die Umgebung in die Flasche zu bringen. Ein Wein bietet Ihnen beim Trinken dann idealerweise Hinweise auf die Gegend, in der er entstanden ist. So schmeckt etwa ein Wein aus einer kühlen Höhenlage im Norden der Navarra frischer und eleganter als ein Wein, der von einer heißeren Lage aus dem heißen Süden der Navarra stammt. Letzterer überzeugt dafür dann mit mehr Fruchtaromen und Körper. Und beide haben ihre begeisterten Fans. Ziel ist es, einen Wein zu machen, der eben so nur in dieser speziellen Gegend entstehen kann. Eigenständige, charaktervolle Weine eben.
Auf die Tradition: alte Rebsorten
Daraus ergeben sich für die Winzer Bereiche: sie entdecken alte Rebsorten wieder, suchen verlassene Regionen danach ab, ob es dort früher einmal Weinberge gab. Manchmal finden sie dabei alte Rebstöcke. So wie die Winzer Enrique Basarte und Elisa Úcar von Domaine Lupier. Sie zogen in die Berge, untersuchten akribisch alte Weinparzellen unterschiedlichster Böden und belebten diese alte Garnacha-Reben wieder. Und Weine wie diese sind heute mit den berühmten Garnacha aus dem Priorat auf Augenhöhe.
Da diese Reben oft einzeln stehen, ist Handlese Pflicht. Und ein geringer Ertrag ist bei alten Reben immer gegeben. Dafür sind die Trauben dann aromatischer. Damit dieses Eigenaroma gut zur Geltung kommt, bauen die Winzer meist in gebrauchten Fässern aus. Denn diese haben weniger Röstaromen, die die frucht überdecken könnten. Und manche Winzer bauen eben auch im Zementtank aus, da dieser ebenfalls die Frische der Trauben betont.
Auf die Zukunft
Dabei ist die junge Generation keineswegs rückwärtsgewandt. Im Gegenteil. In allen Projekten sieht man die Neugier darauf, Tradition und Zukunft zu vereinen. Viele der jungen Winzer verschreiben sich dem nachhaltigen Weinbau und verzichten auf übermäßige Eingriffe. So arbeiten einige mit weinbergseigenen Hefen und setzen während der Weinbereitung keine gekauften hinzu.
Unterstützt werden die Praktiker durch theoretische Forschungen. So erforscht das Institut für Weinbau und Önologie EVENA (Estación de Viticultura y Enología de Navarra) die Weinberge in der Navarra. Das Institut ist Spaniens führende Einrichtung auf diesem Gebiet und teilt alle Ergebnisse mit den Winzern vor Ort. In einem aktuellen Projekt etwa suchen Forscher nachhaltige Strategien, mit denen Winzer ihre Weinberge auf den Klimawandel vorbereiten können.
Adé Massenproduktion!
Die Innovationsfreude der qualitätsversessenen Winzer blieb nicht unbemerkt. Die Weine aus der Navarra erhalten regelmäßig Auszeichnungen in internationalen Verkostungswettbewerben. Spanien-Spezialist Luis Gutiérrez von Robert Parker’s Wine Advocate verkostete in seinem Report 2020 ganze 60 Navarra-Weine. Davon hat er über die Hälfte als außergewöhnlich bewertet, also eine Punktzahl zwischen 90 und 95 von der maximalen Höchstnote 100 vergeben. Zwei Weine erhielten sogar das höchste Prädikat "herausragend".
Zudem gibt es in der Navarra ganze vier Weingüter, die den begehrten Status Vino de Pago haben. Ein Vino de Pago ist die Spitzen-Kategorie im spanischen Weinbau und steht noch über den DOs und DOCas (Denominación de Origen Calificada). Die Kategorie wurde 2003 eingeführt und wird an herausragende Lagen vergeben. In der Navarra sind dies die Lagen Prado de Irache, Pago de Otazu, Pago de Arínzano und Finca Bolandín. Zum Vergleich: In ganz Spanien gibt es momentan lediglich 19 Vino de Pagos. In der Rioja gibt es keinen einzigen.
Sie sehen: es ist geht dynamisch zu in der Navarra. Voller Visionen, Tatendrang und Know-how krempelt die junge Winzergeneration seit einer Weile den Weinbau vor Ort um. Und das Beste daran: die meisten Weine sind hier im Vergleich zum Nachbarn Rioja noch sehr günstig. Die Navarra-Weine warten darauf, verkostet zu werden. Und das können Sie in einer Region voller Geschichte und beeindruckender Landschaft. Die Navarra lebt!