Hätte ihnen in den 1950er-Jahren jemand erzählt, dass ihr Weingut eine Generation später weltberühmt sein würde, hätten Jean-Marie Bourgeois und sein Bruder herzhaft gelacht. Denn damals war die Domaine Henri Bourgeois so klein, dass die beiden ihre Weißweine eigenhändig im Peugeot-Transporter auslieferten. Direkt aus ihrem Dorf Chavignol, über Buckelpisten durch die Weinregion Sancerre, bis nach Paris. Knapp 200 Kilometer pro Fahrt, viermal in der Woche. Aber es lohnte sich, denn in den Pariser Bistros begann ein Trend, der den beiden entgegenkam. Das Publikum wollte erfrischenden Weißwein mit dem gewissen Etwas genießen. Und genau den hatten sie mit ihrem Sauvignon Blanc auf der Ladefläche.
Heute ist die Domaine einer der führenden Erzeuger in Sancerre, die zu 80 Prozent reinsortigen Sauvignon Blanc keltern. Natürlich kommen die Lieferwagen jetzt zu ihnen. Dabei erfreuen sich die Fahrer heute nicht nur an besseren Straßen, sondern nach wie vor an der malerischen Landschaft, wenn sie die östlichen Ausläufer des Loire-Tals erreichen. Schon von Weitem kündigt das gleichnamige Städtchen Sancerre die Region an. Es thront mittelalterlich imposant auf einem Hügel über dem Fluss, der hier die Hälfte seines 1.000 Kilometer langen Laufes geschafft hat und gemütlich durch die Weinberge mäandert. Diese werden von 300 Produzenten bewirtschaftet, was für knapp 3.000 Hektar recht viel ist.
Doch der Bedarf ist da, denn das Gros der Weine wird nicht in Frankreich getrunken, sondern exportiert. Ganze 65 Prozent, von denen das Meiste in die Vereinigten Staaten gelangt. Dass die Weine in Sancerre so gefragt sind, liegt an ihrem einzigartigen, frischen Stil. Und der hat mit den besonderen Böden zu tun.
Böden in Sancerre
Tauchen wir mal ins Erdreich der 1936 gegründeten Appellation ab. Das war vor gut 160 Millionen Jahren komplett unter Wasser. Ein riesiges Meer erstreckte sich zu dieser Zeit über Frankreich. Als sich das Wasser zurückzog, brachte es vor allem steinige Böden mit einem hohem Anteil an Kreide zum Vorschein. Diese bieten den Reben heute einen guten Wasserabzug - perfekt, da es in der Region recht viel regnet. Das zurückweichende Meer hinterließ zudem Böden mit Muscheln, Schnecken und anderen versteinerten Meerestieren. Geht man in Sancerre durch die Weinberge, findet man immer wieder Fossilien in der Erde - Kalklieferanten, die für Trauben mit hoher Weinsäure sorgen. Geologen unterscheiden in Sancerre drei Bodentypen, die den Weinen ihren speziellen Ausdruck geben.
Terres Blanches - harmonische Weine
Im westlichen Teil der Appellation finden sich die Terres Blanches, die sogenannte "weiße Erde". Weiß deshalb, weil der kalkhaltige Lehmboden im heißen Sommer beginnt, hell zu schimmern. Und weil sich hier eben immer wieder kleine Fossilien finden lassen. Geologisch sind die Winzer der Terres Blanches übrigens in guter Gesellschaft: Ihr Boden, auch Kimmeridge genannt, erstreckt sich von der Champagne kommend über Sancerre bis ins Chablis im Burgund. Hier wie dort sind die Weine harmonisch, von hoher Weinsäure, dabei mineralisch und strukturiert.
Caillottes - expressive Weiße
An die Terres Blanches schließt sich der zweite Typ an, die Caillottes. Das ist ein Kalkstein, der mit Steinen und Kieseln durchsetzt ist. Dieser Bodentyp ist auf den tiefer gelegenen Hügeln zu finden und erstreckt sich bis an der Rand der Kleinstadt Sancerre. Weine von diesen Böden sind kräftiger, aromatischer und expressiv. Die meisten Weinberge in der Appellation befinden sich entweder auf den Caillottes oder den Terres Blanches. Beide machen jeweils etwas über vierzig Prozent der Rebflächen in der Weinregion aus.
Silex - elegante Sauvignon Blanc
Der dritte Typ ist mit ungefähr fünfzehn Prozent der seltenste. Und berühmteste. Dieser Silex-Boden findet sich östlich der Stadt Sancerre und zieht sich entlang der Loire von Nordwest nach Südost. Besonders ist der hohe Anteil an Feuerstein, der sich bis in die Gemeinden der Nachbar-Appellation Pouilly-Fumé auf der anderen Seite des Flusses fortsetzt. Diese Feuersteinnote ist manchmal als Streichholzgeruch im Wein zu erleben. Insgesamt sind die Sauvignon Blanc von Silex-Böden eleganter, mit weniger Fruchtaromen und dafür mineralischer und langlebiger als die oben genannten. Während diese meist innerhalb von drei Jahre genossen werden sollte, können die besten Exemplare vom Feuersteinboden bis zu zwei Jahrzehnten reifen.
Der klassische Loire-Sauvignon Blanc
Oft werden die Trauben von verschiedenen Bodenarten assembliert. Das ergibt dann den herrlich komplexen und mittlerweile klassischen Loire-Stil. Der ist eine Art subtiler In-your-face-Weißwein, denn er ist intensiv, aber irgendwie auch sehr pur. Aromatisch auf jeden Fall ganz anders, als etwa ihre tropisch-fruchtigen Vertreter aus dem neuseeländischen Marlborough.
Sancerre-Sauvignon wird auch schon mal als schneidend, scharf und stahlhart beschrieben. Zum typischen Feuersteingeruch kommen Aromen, die an Stachelbeeren, Zitrusfrüchte, Brennesseln und manchmal grüne Paprika erinnern. Einige duften nach Cassis und deren Blättern. Weine aus zu kalten Jahrgängen können auch mal an nasse Wolle oder Katzenurin denken lassen. Aber nicht wegen letzterem, sondern wegen allem anderen sind die Weine so lebendig und begehrt. Damit das Traubenaroma und der Ausdruck der Böden bestmöglich im Wein zu schmecken sind, haben sich ein paar Techniken nach der Lese etabliert.
In den Weinkellern von Sancerre
Wir gehen mal davon aus, dass nur erstklassiges Traubenmaterial im Keller ankommt. Damit aus diesem wenig Bitterstoffe aus den Kernen in den Most gelangen, pressen die Kellermeister die Trauben schonend und langsam. Edelstahlbehälter mit Temperatursteuerung erlauben eine langsame Mazeration bei um die 12 bis 16 Grad, bei der die Fruchtaromen maximal herausgelöst werden. Vor allem in kühlen Jahren wenden Winzer die malolaktische Gärung (auch biologischer Säureabbau genannt) an, um den dann zu hohen Gehalt an Weinsäure in mildere Apfelsäure umzuwandeln.
Ausgebaut werden die Sauvignon Blanc in Sancerre traditionell ebenfalls in Edelstahl. Damit bleibt das Traubenaroma so pur wie möglich im Wein. Einige Erzeuger experimentieren auch mit dem Ausbau in gebrauchter Eiche oder, noch seltener, mit neuer Eiche. Weine, die so erzeugt werden, ähneln dann aber eher weißen Bordeaux-Weinen als dem klassischen Loire-Sauvignon Blanc. Und für diesen spielt neben dem Terroir und dem Ausbau natürlich auch das Klima eine Rolle.
Das Klima in Sancerre
Sancerre liegt am südöstlichen Rand des Pariser Beckens und ist die größte Appellation des Loire-Tals. Es unterscheidet sich mit dem umliegenden Pouilly-Fumé und Menetou-Salon aber klimatisch vom Rest des Loire-Tals. Denn das reicht bis nach Nantes in unmittelbarer Nähe des Atlantik. Klar, dass die Weinreben dort in einem maritimen Klima gedeihen. Heißt: geringe Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter und damit eine lange Wachstumsperiode.
In Sancerre ist das anders. Die Weinberge hier liegen zentral im Landesinneren und das Klima ist gemäßigt kontinental. Also mit größeren Schwankungen zwischen Sommer und Winter und insgesamt kühleren Temperaturen, die ans Burgund denken lassen. Im Vergleich zu Nantes blühen die Weinreben in Sancerre zwei Wochen später, die Wachstumsphase ist also kürzer. Ausreichend Sonne ist für die Reben hier immens wichtig.
Dafür sorgt dann die Höhe. Denn das Höhenprofil in Sancerre von 200 bis 400 Metern wartet mit vielen Hügel auf. Und das ist gut für die Reben, denn an Hängen intensiviert sich die vorhandene Sonneneinstrahlung. Generell gibt es viele steile Hänge, manche haben sogar eine Steigung von 50 Prozent. Da ist schon manches Gefährt stehen geblieben und Handlese Pflicht! Einen zusätzlichen Sonnen-Push erhalten die Reben, weil die meisten an Süd- und Südwesthängen wachsen. Liegen diese dann noch oberhalb des Flusses, profitieren die Pflanzen von einem Extra-Kick Sonne durch die Wasserreflexion. So können die Trauben die kürzere Wachstumsphase ideal nutzen und ausreifen.
Sancerres Zukunft
Bis hierhin haben wir nur von der weißen Sorte Sauvignon Blanc geredet. Das hat auch einen Grund. Diese belegt den größten Teil der Rebflächen und ist schlicht am berühmtesten. Daneben gibt es auch Rotweine und Rosé aus Pinot Noir. Aber die waren lange Zeit recht leichte bis fast schon wässrige Weine. Mit Beginn der frühen 1990er-Jahre ändert sich das! Um aromatischere Weine zu erhalten, haben Winzer den Ertrag drastische reduziert. Statt früher 60 Hektoliter pro Hektar erzeugen sie jetzt 40. Und entdecken so das Erbe ihrer Region wieder. Denn bis ins 19. Jahrhundert hinein war Sancerre vor allem bekannt für Rotwein. Erst als die Reblaus Ende des 19. Jahrhunderts die Pinot Noir-Reben auffraß, stellte man sich danach breiter auf. Und pflanzte auch Sauvignon Blanc an, der hier zur vollen Blüte kam. Aber auch Pinot Noir ist in der Appellation seit 1956 wieder erlaubt.
Ansonsten bewegt sich aber noch mehr in Sancerre. Denn um den Kunden mehr Orientierung zu bieten, möchten einige Winzer schon seit langem ein Grand Cru-System einführen. Damit die hochwertigsten Weine von den besten Lagen besser zu erkennen sind. So etwas gibt es nämlich in Bordeaux und im Burgund, hier jedoch bisher noch nicht. Und bei rund 300 Erzeugern wäre das schon eine gute Hilfe. Sie sehen: seit der Zeit, als die beiden Brüder mit ihrem Peugeot Weinflaschen nach Paris fuhren, hat sich viel getan. Was geblieben ist, sind passionierte Winzer, die einzigartige Weine machen.
17 Antworten auf „Sancerre: Weinregion mit Weißweinklasse“
[…] übermütig für einen Supertaster hält. Und dann wiederum kann man einen Chablis nicht von einem Sancerre unterscheiden. In der ersten Verkostungsprüfung, bei der ich grandios durchgefallen bin, habe ich […]
[…] Aromen und dezent säuerlichen Note. Einheimische schwören darauf, ihn im jungen Zustand mit einem weißen Sancerre zu genießen. Die frische mineralische Weinsäure des Sauvignon Blanc gepaart mit dessen […]
[…] klassischer Weine werden demgegenüber in Frankreich fündig. Sancerre, Pouilly-Fumé … die Anwärter auf passende Aperitif-Weine sind hier ebenso vielfältig wie das […]
[…] landet man dabei recht schnell in Frankreich. Saint-Émilion Grand Cru, Puligny-Montrachet, Sancerre … In der Grande Nation kann man so richtig aus dem Vollen schöpfen. Aufgrund der extremen […]
[…] Oder aus dem etwas kühleren Loire-Tal im Osten Frankreichs, wo sie spritzig-mineralische Weine wie Sancerre und Pouilly-Fumé von Weltruf […]
[…] und Aromen. Stichwort Riesling, oder ein mineralisch-frischer Loire-Sauvignon Blanc, etwa aus Sancerre. Wenn Sie Riesling mögen, probieren Sie doch mal den "spanischen Riesling" Albariño oder die […]
[…] zu Saucen entlanghangeln. Stichwort Sauvignon Blanc, gern aus dem französischen Loire-Tal wie Sancerre. Denn dessen leicht grasig-mineralischen Noten passen allgemein gut zum grünen Spargel. Und […]
[…] man hingegen die gleichen Sancerre, Grauburgunder oder Chianti wie in den anderen Restaurants des Umkreises, wurde beim […]
[…] berühmtesten sind die Sauvignon Blanc aus den beiden Gebieten Sancerre und Pouilly-Fumé an der französischen Loire. Dieser klassische Loire-Stil ist glasklar, mit […]
[…] elegante Mineralität am Gaumen. Ein kleines bisschen wie in Frankreichs Sauvignon Blanc-Region Sancerre. In Martinborough ist ein Drittel der Flächen mit ihr […]
[…] ist dem Kimmeridgium sehr ähnlich. Eine Bodenart, die man vor allem im Chablis im Burgund oder in Sancerre an der Loire findet. In den Top-Lagen wie dem Würzburger Stein oder dem Eschendorfer Lump wird […]
[…] der Prädikatsstufe. Während in Frankreich und Italien die Herkunft dank der Appellationen (wie Sancerre) beziehungsweise DOCGs (Denominazione di Origine Controllata e Garantita – wie etwa Chianti […]
[…] Sauvignon Blanc ein, deren Mineralität das Salz schön auffängt. Kommt Letzterer aus Sancerre oder Pouilly-Fumé bringt er meist Rauchnoten von den Feuerstein-Böden mit. Und verstärkt so die […]
[…] ihren sanften Kräuternoten den Salat ideal. Die frischen grünen Noten im Loire-Sauvignon-Blanc (Sancerre oder Pouilly-Fumé) passen gut zu den Wildkräutern und der aromatische Stachelbeerduft bringt […]
[…] dem empfehlen wir einen Sauvignon Blanc von der Loire. Hier denken wir vor allem an Gewächse aus Sancerre, die herrlich mineralische Noten haben. Wobei auch ein Sauvignon Blanc aus der Nachbar-Appellation […]
[…] hinter sich. Zu seinen Stationen gehörten unter anderem renommierte Weingüter im französischen Sancerre im Loire-Tal, im australischen Victoria sowie an der kalifornischen Nordküste. Als für den Rest […]
[…] Pendants ganz im Osten der Loire aufnehmen können: Sie sind knackig, frisch und mineralisch wie Sancerre und Pouilly-Fumé, dabei oft deutlich erschwinglicher. Das ist für Loire-Verhältnisse […]